Ich hatte hier eine Mission

Dr. phil. h.c. Ingrid Mössinger

Macherin der Woche vom 20. April 2018

Eine fast normale Woche für Dr. phil. h.c. Ingrid Mössinger. „Ich telefoniere nur noch schnell. Der Skulpturen-Katalog muss noch fertig werden. Dann bin ich gleich da“, bittet die Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz ihre Gäste um Geduld, um sich kurze Zeit später ausführlich Zeit für das Gespräch zu nehmen. Es sind Fragen, die sie in den vergangenen Wochen des Öfteren beantwortet hat. Denn es ist Zeit für einen Rückblick – eine Perspektive, die Ingrid Mössinger eigentlich nicht so gern hat. Doch am 30. April geht ihr berufliches Engagement als Generaldirektorin der Kunstsammlungen in Chemnitz zu Ende.


Über 20 Jahre Kunstsammlungen Chemnitz: Fällt Ihnen rückblickend betrachtet in dieser langen Zeit ein besonderer Höhepunkt unter den vielen ein, an den Sie sich besonders gern erinnern?
Dr. Ingrid Mössinger:
Es gibt viele, an die ich mich gern erinnere – quasi eine Kette von Höhepunkten. Ich war noch gar nicht in Chemnitz eingetroffen und mich rief eine mir unbekannte Dame an, die sagte: Ich habe gehört, sie werden die neue Museumsdirektorin. Ich möchte Ihnen ein Gemälde von Franz von Stuck und eins von Max Slevogt stiften. Da war ich natürlich völlig überrascht. Dann hat sich herausgestellt, dass es eine Enkelin des Unternehmers Vogel war, der 1911 für den Stadtverordnetensaal im Rathaus Chemnitz das Max Klinger-Bild in Auftrag gegeben hat. Sie wollte die Portraits ihres Großvaters und ihrer Großmutter dem Museum stiften. Das fand ich natürlich ganz toll. Das war ein hervorragender Auftakt, bevor ich überhaupt angefangen habe.
Dann kam ich hier an und nach drei Wochen habe ich die Nachricht bekommen, dass die Skulptur „Kopf eines Denkers“ von Wilhelm Lehmbruck im berühmten Auktionshaus Christie's in London versteigert wird. Sie wurde 1923 dem Chemnitzer Museum geschenkt, 1937 aber als „entartete Kunst“ beschlagnahmt. Mich packte der Ehrgeiz, das Prachtstück für das Museum zurückzukaufen. Es waren nur drei Wochen Zeit und kein Ankaufsetat vorhanden – da Auktionen nicht verschoben werden. Zuerst dachte ich, ach, das leg ich zu den Akten. Ohne Ankaufsetat hat das gar keinen Zweck. Dann habe ich aber gedacht, lieber probieren, weil auch nicht mehr als Nichts passieren kann. So habe ich Tag und Nacht überlegt, mich beraten lassen und umgehört, wie ich das Geld zusammenbringen könnte.

Das zeichnet Ingrid Mössinger aus: Geht nicht – gibt’s nicht. Solange man es nicht versucht, kann es nichts werden. Mit einer charmanten Hartnäckigkeit hat sie große Ausstellungen in Chemnitz organisiert und so dem Haus zu Weltruf verholfen: Edvard Munch (1999), Lucas Cranach (2005), Ernst Ludwig Kirchner (2007), die Peredwischniki (2012), Andy Warhol (2014), um nur einige große Ausstellungen zu nennen. Übrigens versteht es sich fast von selbst, dass sie das Geld von mehreren Stiftungen eingeworben hat und so die Skulptur von Lehmbruck ersteigern konnte. „Diese Erfolge zu Beginn meiner Tätigkeit, die von Stuck und Slevogt-Bilder und der Lehmbruck, waren so motivierend, dass es von da ab richtig gut weiterlief“, so Mössinger.

Woher kommen die Ideen für eine Ausstellung?
Ich habe mich viel mit Chemnitz beschäftigt und nach Alleinstellungsmerkmalen gesucht, die sich hier befinden. Beispielsweise war für mich überraschend, dass sich Edvard Munch in der Stadt aufhielt. Er war der Familienporträtist von Herbert Esche. Mit diesem weltberühmten Künstler, dem wir 1999 eine Ausstellung widmeten, konnte man auf die Kunstsammlungen aufmerksam machen. Das war ein unerwarteter Höhepunkt, der dann die Stadt und das Museum gleich auf ein internationales Niveau gehoben hat. Und wenn man mit Munch so einen Erfolg hatte, lag Picasso nicht mehr völlig fern. Dann haben wir 2002 die Ausstellung „Picasso et les femmes“ gemacht. In dieser Breite und Auswahl gab es so eine Ausstellung noch nie. Am Ende hatten wir von 36 Frauen 228 Portraits in Chemnitz hängen. Es war eine fast vollständige Untersuchung von allen Frauen, die Picasso je gemalt oder gezeichnet hatte. Ich glaube da fehlten nur noch drei. Fünf der dargestellten Frauen kamen dann sogar zur Eröffnung.

Im Nachgang der Eröffnung wurde erzählt, dass man anhand der Bilder jede dieser anwesenden Damen erkannt hat, trotz der Zeit die vergangen war.
Ja, Picasso hat den Charakter der Personen hervorragend festgehalten. Obwohl die künstlerische Darstellung bis zu fünfzig Jahre zurücklag, erkannte man die Personen sofort. Er war eben ein außergewöhnlicher Künstler.

Die nächsten Ausstellungen waren thematisch direkt angeschlossen?
So ist es. Wir haben Bilder der langjährigen Picasso-Lebensgefährtin Francoise Gilot gezeigt. Auf der Pressekonferenz waren bestimmt 50 Journalistinnen da. Alle wollten die Frau sehen, die Picasso überlebt hat (lacht).
Dann im Anschluss an die Picasso-Ausstellung war ich interessiert an Cranach, weil Picasso sich 20 Jahre mit dem Älteren und dem Jüngeren Cranach beschäftigte bzw. von ihnen inspiriert wurde. So hatten wir 2005 mit 72 Gemälden die bis dahin größte Ausstellung von Cranach-Werken überhaupt. 62 davon waren Leihgaben der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden. Das war eine wunderbare Kooperation.

Wie viel Zeit und Arbeit steckt hinter einer erfolgreichen Ausstellung. Kann man beschreiben, wie man es schafft eine Picasso-, Munch- oder Bob Dylan-Ausstellung in Chemnitz zu zeigen?
Eine Vorbereitungszeit von zwei bis drei Jahren ist nötig. Man muss es sich zutrauen, das zu schaffen. Sowohl finanziell wie auch die Ausleihe der Kunstwerke ist eine große Herausforderung, selbst wenn man bereits vorfühlende Gespräche geführt hat. In dem Fall braucht man ein gewisses unternehmerisches Denken und Risikofreude.

Das Projekt abbrechen, wäre mit einem Imageschaden verbunden?
Ja, das wäre ganz schlecht gewesen. Das macht man nur ein- oder höchstens zweimal, denn dann wird man unglaubwürdig. Aber wenn es gelingt, dann fördert es natürlich die nachfolgenden Projekte.

Sprechen Sie mit jedem Leihgeber persönlich?
Ja, möglichst mit vielen oder man hat einen guten Vermittler. Hinzu kommt der finanzielle Aspekt, der sehr anstrengend ist. Die Besitzer der wertvollen Werke müssen dem Leihnehmer vertrauen und dürfen erwarten, dass die Werke ausreichend versichert sind und in einem Katalog abgebildet werden.

Es wird die Geschichte vom dunklen Museum erzählt und nur in Ihrem Büro brennt Licht. Sind Sie eher ein Mensch, der gern nachts arbeitet?
Auf jeden Fall. Weil kein Telefon mehr klingelt und man sich gut konzentrieren kann. Ich bin keine, die sechs Uhr früh am Schreibtisch sitzt, sondern ich fang eher neun, halb zehn an und bleibe dann bis gegen Mitternacht.

Seit 1996 prägte Ingrid Mössinger die Kunstsammlungen Chemnitz, machte sie und die Stadt in der ganzen Welt bekannter. Spricht man von Kunst, dann fällt zwischen Paris, London, New York, Berlin, auch schon mal der Name Chemnitz. Unter Ingrid Mössingers Führung wurden die Kunstsammlungen 2003 für das beste deutsche Museumskonzept ausgezeichnet und 2010 vom Kunstkritikerverband AICA zum „Museum des Jahres“ gekürt. Einer ihrer größten Erfolge war sicherlich das Museum Gunzenhauser: Sie überzeugte den Münchner Galeristen Dr. Alfred Gunzenhauser, seine mehr als 2400 Werke trotz weiterer Anfragen nach Chemnitz zu geben. 2007 wurde das eigens für die Sammlung umgebaute Museum eröffnet. Mit rund 106.000 Objekten zählen die Kunstsammlungen inzwischen zu den größten kommunalen Museen Deutschlands. Aber einer ihrer größten Verdienste ist, dass die Chemnitzerinnen und Chemnitzer stolz auf „ihre“ Kunstsammlungen sind und das auch nach außen tragen. „Ich hatte eine richtige Mission hier und das Kunstmuseum als passendes Instrument“, sagt Ingrid Mössinger über ihre Zeit in Chemnitz, in der sie an vielen Ecken um die Akzeptanz von Chemnitz in Verbindung mit Kunst kämpfen musste. „Beispielsweise habe ich höheren Kulturbeamten erklären müssen, dass man in Chemnitz den gleichen Anspruch auf Kultur hat wie in Dresden. Ich hatte den Eindruck, das war eine richtige Erleuchtung, die durch die Person blitzte und die sich sagte, eigentlich hat sie recht“, beschreibt Mössinger den anfänglich schweren Weg bzw. die Hürden, die sie meistern musste, um das Haus zu dem zu machen, was es heute ist. „Ich habe mich aufgrund der erstaunlichen Vergangenheit der Stadt und der berühmten Personen, die aus Chemnitz stammen, sehr bemüht, dass die Kunstsammlungen Chemnitz regional, überregional und international wahrgenommen werden, um in einer Reihe mit anderen Großstädten zu stehen.“

Müssten die Chemnitzer daher wieder mehr zu ihrer Stadt stehen? Gründe scheint es doch genug zu geben?
Es gibt keinen Grund, deprimiert durch die Stadt zu laufen. Im Gegenteil es gibt sehr viele Aspekte, auf die man stolz sein kann. Erfindungen, Persönlichkeiten, Kunstwerke. Man muss sich nur mal mit der Stadt beschäftigen.
Um bei der Kunst zu bleiben: Die Künstlergruppe „Brücke“, die als Wegbereiter des deutschen Expressionismus gilt, hat ihren Ursprung in Chemnitz und nicht wie viele glauben in Dresden. Karl Schmidt-Rottluff ist in Chemnitz geboren, Ernst Ludwig Kirchner und Erich Heckel gingen in Chemnitz zur Schule.
Ein weiterer schöner Punkt ist unser Schornstein. Nach meiner Recherche ist er übrigens der vierthöchste der Welt.

Mal abseits vom Museum. Ihre Arbeitswoche wird sicher sieben Tage haben?
So in etwa.

Trotzdem haben Sie regelmäßig Gäste von außerhalb empfangen. Was haben Sie denen so gezeigt? Haben Sie einen Lieblingsort in der Stadt?
Zuletzt war der französische Botschafter, S.E. Philippe Etienne, hier und hat einen ganzen Tag mit seiner Frau in Chemnitz verbracht.
Wir haben immer attraktive Ausstellungen in den Kunstsammlungen Chemnitz mit einem großen Bestand an Schmidt-Rottluff-Bildern. Dann gibt es das Museum Gunzenhauser und gerne gehe ich auch ins Schloßbergmuseum mit den hervorragenden spätgotischen Skulpturen. Da kann man schon einige Stunden verbringen.

In seiner Rede zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Sie hat der damalige Bundespräsident Joachim Gauck 2016 das Museum als kulturelle Visitenkarte der Stadt bezeichnet. Macht das Hoffnung für die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025? Wie sehen Sie die Chancen?
Also ich schätze die Chancen eigentlich sehr gut ein. Ich denke, dass wir ein gutes Konzept haben. Man sollte auch die starke Vergangenheit von Chemnitz, die niemand oder viel zu wenige kennen, herausstellen. Dazu gibt es hier die wunderbarsten Möglichkeiten. Mit den Kunstsammlungen Chemnitz und der Oper haben wir ein starkes kulturelles Zentrum in der Stadt. Dies stärkt auch die Wirtschaft. Denn die Unternehmer möchten sich an Plätzen ansiedeln, die ein geistiges Zentrum haben.

Mit der Ehrenbürgerschaft und den Kunstsammlungen bleiben Sie ewig Chemnitz verbunden. Sieht man Sie auch künftig in der Stadt?
Ja, selbstverständlich!

Ihr Nachfolger tritt ab dem 1. Mai ein riesiges Erbe an. Was wünschen Sie ihm?
Ich denke, dass Dr. Frédéric Bußmann eine sehr gute Wahl ist. Er findet ein starkes Museum mit vier Häusern vor und kann damit beispielsweise das Projekt Kulturhauptstadt begleiten. Ich wünsche ihm, dass er die vielen anstehenden Aufgaben mit Bravour löst.

Wann beginnt eigentlich bei Ihnen das große Kistenpacken?
Wie Sie in meinem Büro sehen, habe ich hier noch viel zu packen. Davon kommt eine ganze Menge ins Archiv.

Was machen Sie ab dem 1. Mai?
Auf jeden Fall bleibe ich im Mai und Juni noch hier, weil ich auch privat packen muss.

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