Rede zum Festakt anlässlich der Unterzeichnung der Städtepartnerschaft mit Kirjat Bialik am 26. Oktober 2022

Oberbürgermeister Sven Schulze bei der Festrede anlässlich der Unterzeichnung der Städtepartnerschaft mit Kirjat Bialik am 26. Oktober 2022

Shalom Eli Dukorski,
shalom liebe Gäste aus Kirjat Bialik,
sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages, des Sächsischen Landtages und des Chemnitzer Stadtrates,
sehr geehrter Herr Dr. Seifert, lieber Peter,
sehr geehrter Herr Dr. Feist,
sehr geehrte Frau Dr. Röcher,
liebe Mitglieder der Jüdischen Gemeinde,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,

 

shalom.

 

Herzlich Willkommen in Chemnitz!

Ich freue mich sehr, Sie alle hier und heute begrüßen zu dürfen, zu diesem erfreulichen Anlass. Ich darf ohne zu übertreiben sagen, dass die heutige Unterzeichnung dieser Städtepartnerschaft ein ganz besonderer Moment ist, für den wir dankbar sind.  

Dankbar für die Möglichkeiten, die uns mit den Städtepartnerschaften gegeben werden, für die Freundschaft, für die Beachtung, für die Aufmerksamkeit, die uns Chemnitzerinnen und Chemnitzer in der Welt entgegengebracht werden.

23 Jahre, nachdem wir mit der chinesischen Stadt Taiyuan unsere elfte Partnerschaft besiegelten, kommt heute die zwölfte hinzu.

Den Blick über den Tellerrand wagen; offen zu sein für Neues – das ist es, was uns als demokratische und freie Gesellschaft ausmacht.

Wer das wagt und neue Blickwinkel einnimmt, wer neue Kulturen kennenlernt, der spürt: Freundschaften und das gegenseitige Interesse tun uns gut! Sie lassen uns wachsen.

Deshalb unterhält Chemnitz zu elf Städten rund um die Welt, von Nordamerika über Europa, von Afrika bis nach Asien, Partnerschaften mit einem Austausch auf ganz verschiedenen Ebenen:

 

Ob zwischen Sportvereinen, die gegeneinander bei Turnieren antreten, Chören, die zusammen musizieren, Schulen, deren Kinder sich gegenseitig besuchen, oder Feuerwehren, die von der Erfahrung der jeweils anderen Kameradinnen und Kameraden profitieren.

Es sind immer die Menschen, die Städtepartnerschaften mit Leben füllen. Ohne sie würde keine unserer bisher elf Partnerschaften schon über so viele Jahre existieren.

Im Oktober 1961 wurde der erste Partnerschaftsvertrag zwischen Chemnitz – dem damaligen Karl-Marx-Stadt – und Tampere in Finnland besiegelt. Und eine Besonderheit zeichnete diese Freundschaft von Anfang an aus:

Europa war in Folge des Zweiten Weltkrieges in zwei Blöcke gespalten und der Kalte Krieg mit all seinen Erscheinungen erschwerte die Entwicklung zwischenstaatlicher Beziehungen auf unserem Kontinent ganz erheblich – wenn er sie überhaupt zuließ.

Internationale Kontakte auf kommunaler Ebene waren dementsprechend eher die Ausnahme und längst nicht selbstverständlich. Erst mit dem Fall der Berliner Mauer und den politischen Umbrüchen in den Ländern des damaligen Ostblocks kam der länderübergreifenden Zusammenarbeit zwischen einzelnen Städten eine stärkere Bedeutung zu.

Bis 1999 gingen wir insgesamt elf Städtepartnerschaften ein. Elf Freundschaften, die noch heute bestehen. Elf Verbindungen in die ganze Welt, die Chemnitz näher bringen. Näher an andere Kulturen, näher an andere Religionen, näher an andere Menschen.

Heute blicken wir gemeinsam mit Stolz auf sechs Jahrzehnte zurück, in denen die Beziehungen zwischen unserer Stadt und ihren Partnerstädten erfolgreich ausgebaut wurden. Sechs Jahrzehnte, in denen wir viel voneinander lernen konnten und immer noch lernen, beispielsweise in Fragen der Wirtschaft, des Sports, der Kultur, aber auch in Fragen von Politik und Gesellschaft.

Nun ist es an der Zeit, ein neues Kapitel in unserer Stadtgeschichte aufzuschlagen. Nach 23 Jahren möchten wir ganz offiziell eine neue Städtepartnerschaft eingehen. Eine Partnerschaft, die für beide Städte eine große Bereicherung sein wird!

Ich freue mich sehr, dass wir künftig auch eng und partnerschaftlich mit Kirjat Bialik verbunden sein werden und darf zu diesem feierlichen Anlass ganz besonders unsere Gäste aus Israel willkommen heißen:

 

  • Den Bürgermeister der Stadt Kirjat Bialik – Eli Dukorski
  • Die Vizebürgermeisterin der Stadt Kirjat Bialik – Dr. Revital Svirsky
  • Und die Mitglieder des Stadtrates Frau Anat Warmbrand
  • Und Herrn Tzach Nachmani

 

Ihnen allen ein herzliches Willkommen in Chemnitz!
 

 

[Anrede],

 

heute werden wir nun die offizielle Partnerschaftsvereinbarung unterzeichnen, die feierliche Bekundung des gemeinsamen Wunsches beider Städte, den die Stadträte von Kirjat Bialik im Juli und von Chemnitz im September beschlossen hatten.

Diese Vereinbarung ist jedoch kein Startschuss für den Beginn unserer Partnerschaft, sondern ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg, den wir bereits gemeinsam gegangen sind und den wir weitergehen wollen. Sie bildet den administrativen Rahmen für unsere Zusammenarbeit, die durch die Aktivitäten von Menschen, von Vereinen, Institutionen und Unternehmen bereits seit einiger Zeit mit Leben gefüllt wird. 

Und genau das ist das Besondere an dieser Städtepartnerschaft: Die Beziehung, die wir heute formell bekunden, ging nicht von den Verwaltungen, sondern von engagierten Bürgerinnen und Bürgern beider Städte aus. Einige von ihnen sind heute hier.

Dass es seit 2009 Beziehungen zwischen Chemnitz und der israelischen Stadt Kirjat Bialik gibt, verdanken wir Dr. Rafael Wertheim, dem ehemaligen Bürgermeister, der von 2003 bis 2008 die Geschicke der Stadt lenkte und danach als Wissenschaftler an das Fraunhofer-Institut nach Chemnitz kam. Es sollten sechs Monaten als Vertretung sein, daraus wurden viele Jahre.

Auf seine Frage vor 13 Jahren, ob es denn offizielle Kontakte zwischen Chemnitz und israelischen Städten gäbe, fiel die Antwort negativ aus.

Für Dr. Wertheim, seine Frau Hannah und Dr. Ruth Röcher von der Jüdischen Gemeinde, war dies der Anstoß, um aktiv zu werden.

Gemeinsam intensivierten Sie die Kontakte, bauten Brücken zwischen beiden Städten, pflegten und verbesserten die Beziehung zwischen Israel und Chemnitz.

Den Anfang machten israelische Künstlerinnen, die ihre Arbeiten in Chemnitz präsentierten. Bei einem dieser Besuche wechselten auch sächsische Erinnerungsstücke die Besitzer, so dass eine Wanderer-Schreibmaschine ihren Weg in das Heimatmuseum Kirjat Bialik fand.

In Chemnitz traf die israelischen Partnerschaft auf positiv denkende Mitstreiterinnen und Mitstreiter. Zu diesen gehörten im Laufe der Jahre neben vielen anderen vor allem auch Renate Aris, Egmont Elschner und Frank Blumstein, die heute stellvertretend für die Tage der Jüdischen Kultur anwesend sind.

Sie, die Organisatoren, stellen nicht nur seit Jahren regelmäßig ein kulturell hochwertiges und vielfältiges Angebot für die Chemnitzerinnen und Chemnitzer bereit. Sie haben auch über Jahre den Austausch zwischen Kirjat Bialik und unserer Stadt gestaltet, dafür neue Netzwerke geknüpft und unsere Beziehungen so vorangebracht.

Wohlgemerkt ganz ohne eine offizielle Unterschrift unter einer Urkunde für die Partnerschaft.

Im Jahr 2014 war die Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Städten dann erstmals Thema im Stadtrat von Kirjat Bialik. Dr. Wertheim berichtete von all den Aktivitäten, die es bereits gab:

Von den Tagen der Jüdischen Kultur genauso wie von den Aktivitäten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in Chemnitz um Dorothee Lücke und Dorothee Morgenstern. Und natürlich auch von der aktiven Jüdischen Gemeinde.

So wuchs auch auf offizieller Ebene ein Interesse an Chemnitz und bald reiste eine erste Delegation aus Kirjat Bialik in unsere Stadt, um sich das beschriebene aktive Leben hier anzusehen.

Dr. Svirsky kam 2017 das erste Mal nach Chemnitz, um jene Menschen zu treffen, die sich um die Beziehung mit Kirjat Bialik bereits sehr verdient gemacht hatten.

Auch Eli Dukorski war bereits 2018 gemeinsam mit einer Gruppe von Musikschülern zu den Tagen der Jüdischen Kultur in Chemnitz zu Gast. Diese Gruppe blieb eine Woche und musizierte gemeinsam mit Musikschülern aus Chemnitz.

Und dieses Interesse war keinesfalls einseitig, ganz im Gegenteil! So besuchten im Laufe der Jahre unter anderem Frank Blumstein vom Bürgerverein FUER CHEMNITZ, Chemnitzer Musikschülerinnen und Musikschüler oder auch Studierende und Wissenschaftler Kirjat Bialik.
 

 

Und eines ist gewiss:

 

Ohne Ihren engagierten Einsatz, liebe Anwesende, und den Ihrer zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die heute nicht bei uns sein können, wäre es höchstwahrscheinlich nie zur Unterzeichnung dieser Partnerschaftsvereinbarung gekommen.

Ohne Sie wäre Chemnitz also um viele schöne Erfahrungen und die Chancen, die dieser Partnerschaft innewohnen, ärmer.

Im November 2019 beauftragte der Chemnitzer Stadtrat die Verwaltung auf Initiative mehrerer Fraktionen, einen Vorschlag für eine Partnerschaft mit einer Stadt in Israel zu erarbeiten. Aufgrund der bereits bestehenden vielfältigen Verbindungen zwischen unseren beiden Städten erschien eine Partnerschaft zwischen Kirjat Bialik und Chemnitz dabei naheliegend.

Schließlich reiste im Mai dieses Jahres eine Chemnitzer Delegation nach Kirjat Bialik, um die Stadt besser kennenzulernen und die Möglichkeit einer intensiveren Zusammenarbeit auszuloten.
 

 

[Anrede],

 

mich hat diese Reise tief beeindruckt.

Ich erlebte eine Stadt, deren deutsche Wurzeln sichtbar sind, wurde sie doch 1934 von deutschen Einwanderern gegründet. Diese Geschichte kann man im Haus Katz noch heute nachvollziehen. 

Ich traf in Kirjat Bialik auf eine überaus freundliche, fröhliche Bevölkerung, in einer Stadt, die Kunst und Kultur fördert und die uns in Bau-, Infrastruktur- und IT-Projekten einiges voraushat.

Israel ist ein Land, geprägt von einer bewegten und bewegenden Geschichte und zugleich ein Land, das nach vorne blickt. Und das gilt zugleich für die Stadt Kirjat Bialik selbst.

Auf unserer Reise entdeckten wir darüber hinaus einige Gemeinsamkeiten zwischen unseren beiden Städten:

Hier wie dort leben viele Macherinnen und Macher – Menschen, die ihre Stadt selbst gestalten. Und ebenso wie bei uns, in der künftigen Kulturhauptstadt Europas 2025, liebt man in Kirjat Bialik, der Stadt, die nach dem großen hebräischen Nationaldichter Chaim Nachman Bialik benannt ist, die Kultur.

Und ich bin mir sicher, dass im Laufe der nächsten Jahre noch sehr viel mehr entstehen wird, das uns verbindet: 

 

Neben dem bereits benannten Bereich der Kultur werden wir uns verstärkt den Fragen der Wirtschaft und auch der Nachhaltigkeit widmen und nach Möglichkeiten für unsere Unternehmen, in die jeweiligen anderen Regionen zu investieren.

Dazu haben wir in diesem Jahr zum ersten Mal den Deutsch-Israelischen Mittelstandstag in Chemnitz veranstaltet, ein Format, das wir im kommenden Jahr fortsetzen wollen. Zudem hat die Deutsch-Israelische Wirtschaftsvereinigung Chemnitz als eines von sechs „Israel Innovation Hubs“ auserkoren.

Verstärkt zusammenarbeiten wollen wir außerdem in den Bereichen Jugend und Bildung.

Kinder und Jugendliche haben oft vergleichbare Sorgen. Egal welcher Religion man angehört oder in welchem Land man groß wird – das Erwachsenwerden hat seine speziellen Herausforderungen. Ein regelmäßiger Austausch ist daher ein wichtiger Schritt zum Verständnis und um langfristige Beziehungen zwischen den Menschen unserer Städte zu fördern.

Außerdem soll auch der sportliche Austausch eine wichtige Rolle in unseren Beziehungen spielen. So planen zum Beispiel die Basketballer der Niners, die zufällig heute in Israel spielen, einen Jugendaustausch im kommenden Jahr.
 

 

[Anrede],

 

jüdische Bürgerinnen und Bürger haben die Geschichte von Chemnitz entscheidend mitgeprägt. Namen wie Richard Tauber oder Stefan Heym haben weit über unsere Stadtgrenzen hinaus Bekanntheit erlangt, um nur zwei von Ihnen zu nennen.

Deshalb freuen wir uns umso mehr, dass jüdisches Leben und die jüdische Kultur nach der grausamen Zäsur der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft heute wieder fest in unserer Stadt verankert sind und wir die Geschichte des jüdischen Lebens in unserer Stadt 2025 als Europäische Kulturhauptstadt gemeinsam mit einer Partnerstadt in Israel fortschreiben werden.

Denn eines ist mir besonders wichtig und hier weiß ich mich mit unseren israelischen Gästen einig:

 

Deutschland hat aus seiner Geschichte heraus eine ganz besondere Verantwortung gegenüber dem israelischen Volk. Diese Erkenntnis ist unser unverrückbarer Wertekompass, der unsere parlamentarische Demokratie ebenso prägen muss, wie unser tägliches Leben.

Partnerschaften wie die unsere werden aber nicht nur im Wissen um die eigene Geschichte, sondern vor allem auch mit dem Blick auf die Zukunft geschaffen. Für heutige und zukünftige Generationen, die ihre eigenen Wege suchen und finden und dabei immer auch das Gemeinsame, das Verbindende in den Mittelpunkt stellen.

Denn dieses Verbindende zu sehen, es zu erhalten und es zu pflegen, ist Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben in der Welt. Das wird uns gerade in der aktuellen Zeit wieder schmerzhaft vor Augen geführt.   

Und so möchte ich Sie alle und ganz besonders die Schulen, Vereine und Initiativen in unseren beiden Städten ermutigen, den regelmäßigen gemeinsamen Austausch zu suchen.

Lassen Sie uns einander noch besser kennenlernen und verstehen.

Lassen Sie gemeinsam diese Partnerschaft langfristig zu dem machen, was sie sein soll: ein lebendiger Ausdruck gegenseitiger Achtung, der Wertschätzung und des freundschaftlichen Miteinanders.
 

 

Herzlichen Dank!

 

(Es gilt das gesprochene Wort)
 

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