"Wir wollen wieder Stadtgespräch und Kult werden."

Markus Wolf

Macher der Woche vom 13. August 2021

Im Juli jährte sich der 30. Geburtstag eines Stadtmagazins, ohne das Chemnitz heute nur schwer denkbar wäre: Grund genug, das Macher der Woche-Interview Markus Wolf vom Stadtstreicher zu widmen. Er berichtet von Metamorphose, den Wechselwirkungen von analog und digital und wagt einen Blick in die Glaskugel.


Warum heißt der Stadtstreicher eigentlich Stadtstreicher?
Markus Wolf: Wir sind 1991 auf Namensfindung gegangen. Damals meinte mein Redaktionspartner: Warum nennen wir das Magazin nicht Stadtstreicher? Da haben wir eine Nacht drüber geschlafen und dachten dann: »Okay, cooler Name.« Uns kamen dabei jene in den Kopf, die durch die Stadt streichen, vielleicht auch irgendwo neue Farbe reinbringen, viel aufnehmen und wissen, wo es brennt und was gerade passiert. Irgendwann kam dann die Verniedlichung durch die Chemnitzer:innen hinzu. Der Stadtstreicher wurde zum Streicher, was auch kürzer und griffiger war.

Wenn Sie den Stadtstreicher in drei Worten zusammenfassen müssten: Welche wären das?
Regional, überraschend, positiv.

Und würden Sie sagen auch innovativ?
Manche mögen sich den Streicher gerade anschauen und denken: »Was macht ihr hier denn für ‘nen neuen Scheiß?« Da sagen wir: Das ist unsere Benchmark! Das ist, wo wir unser Business verorten. Wir wollen unter anderem eine Marke emotional aufladen. Und weil wir kreativ sind, steckt natürlich auch viel Kreativität dahinter. Ob das jetzt innovativ ist? Da bin ich eher vorsichtig.

Mit dem 30-jährigen Jubiläum geht aber dennoch allerlei Veränderung einher. Wie kam es dazu?
Den Gedanken, grundhaft etwas zu ändern, den gibt es ja nicht erst seit diesem Jahr. Das treibt uns mindestens schon fünf Jahre um: Dass in irgendeiner Weise eine Metamorphose passieren muss, schon aufgrund der Tatsache, dass die Leute viel häufiger digital konsumieren. Und ein wenig hat uns sicherlich auch Covid-19 geholfen, Zeit gegeben. Am Anfang hatten wir ein gestandenes Produkt: Warum solltest du etwas ändern, wenn es betriebswirtschaftlich passt, wenn du gut damit klar kommst? Können wir mit dem Traditionellen und Beständigen, dauerhaft in der Zeit bestehen? Das war die Frage die wir klären mussten – und dass es höchstwahrscheinlich so nicht passieren wird. Danach haben wir im Team die eigenen Credos und die des Streichers festgehalten. Was sind wir? Was sind wir nicht mehr? Darunter stand auch »Der Stadtstreicher ist nicht mehr Stadtgespräch und auch nicht mehr Kult«. Da habe ich mich hingestellt und gefragt: »Warum drehen wir das nicht um? Warum ändern wir nichts daran?« Wir wollen wieder Stadtgespräch und Kult werden! Crossmedialer, ausgespielt über verschiedene Kanäle und Social Media.

Und was ist passiert?
Wir haben gesagt: »Okay, das was wir haben – nämlich Marke, Vertrautheit, Vertriebsnetz – das wollen wir nicht verlieren, sondern nur so kürzen, dass vielleicht auch etwas Neues wachsen kann.« Die Idee: Der Streicher erscheint nur noch quartalsweise. Aber büßt dadurch nicht die Marke auch an Präsenz ein? Wie fangen wir das auf? Wir bringen dazu etwas wöchentlich in elektronischer Form, womit wir Termine zielgenauer, auch für die kurzfristigen Planer, ausspielen können, und das mit der Zeit geht, womit wir schließlich Leute abholen, die fast nur noch elektronisch kommmunizieren und auch konsumieren. Die App »Chemnitz Kiosk«. Und einen Podcast.

Wie wird das bisher angenommen?
Momentan haben wir circa 800 Nutzer:innen in der Woche. Der Bedarf ist da. Ziel ist, dass wir so in einem Jahr vielleicht 10.000 Dauernutzer:innen haben. Und ich denke, das ist ein ambitioniertes Ziel. Aber selbst der Print-Streicher hat seine Jahre gebraucht, um den Markt zu durchdringen. Das ist auch nicht in zwei oder drei Jahren passiert, eher im Gegenteil. Zu Spitzenzeiten waren das 85 bis 90 Prozent Marktdurchdringung. Aber das war in Zeiten, als es Instagram, Facebook und Co. eben noch nicht gab. Mit einer anderen Informationsbeschaffung, fernab von sogar dem Internet. Heute ist die Denke anders: Früher bist du ins Unternehmen gegangen mit der Frage nach dem nächsten Monat und heute funktioniert das eher im Wochenrhythmus. Es geht um Zahlen, was kannst du besser machen, wie können mehr Zugriffe generiert werden für dieses neue Medium?

Wäre es nicht einfacher, Print sterben zu lassen und nur noch rein digital zu arbeiten?
Diese Frage haben wir uns natürlich auch gestellt. Und wenn man es durchdenkt – es ist einfach nicht notwendig, das Heft wegzulassen. Denn nach wie vor bringt uns das Erscheinen in Print unter anderem in neue Märkte rein. Es hat seine Daseinsberechtigung, seine Präsenz, seine Markenwirkung. Wie viele Jahre reden wir denn schon darüber, das Print tot ist? Da ist es aber immer noch. Was wir aber umdenken und überdenken müssen, ist das Zusammenspiel von analog und digital. Mal ganz ehrlich: Selbst die, die den Stadtstreicher nutzen und den auch immer mitnehmen – die Hefte sind nie liegen geblieben – dachten dennoch nicht mehr »Ich liege jetzt auf der Couch, was kann ich am Wochenende machen, da schaue ich jetzt mal in meinen Stadtstreicher.« Wir müssen unsere Storys anders denken und dreidimensional runterbrechen. Welche Mehrwerte können wir daraus schöpfen, und wie können wir die aufbauen für unser Wochenmagazin? Brauchen wir Bewegtbild? Was können wir aus der Geschichte in Sachen Podcast ziehen? Was ist der Aufzieher für unsere Social Media Kanäle? Und ja, der Aufwand wird größer, aber du bist im Nachgang auch Nutznießer.

Wo steht der Streicher in fünf Jahren?
Ich finde solche Blicke in die Glaskugel ja immer gut. Das steht für Visionen, Perspektiven. Aber ich muss sagen, der Weg den wir jetzt eingeschlagen haben, ist schon eine vorskizzierte Vision. Wir nennen das hier immer Schatzkiste. Egal wen du ansprichst, alle erzählen dir irgendeine Geschichte, die sie mit dem Streicher verbinden. Die wurden mit einer bestimmten Sache abgeholt und das verbunden mit dem Streicher. Wir hatten z. B. mal ein Heft mit haptischer Esse inklusive Skyline von Chemnitz. Das sind Erlebnisse, Dinge, die passiert sind. Warum sollten wir das nicht wieder zurückholen können? Ob wir das schaffen, ist eine andere Frage.

Und wird es noch eine große Party geben?
Die Zeiten von Monsterpartys sind ja irgendwie vorbei. Ich kann mich noch erinnern. Zu unserem 15-Jährigen hieß es: 15 Jahre, 15 Floors (lacht). Aber der Charme alter Fabrikhallen ist leider vorbei. 30 Jahre sind 30 Jahre. Wir starten jetzt wieder in eine neue Ära. Alles hat so seine Zeit. Und wir sind heiß drauf!





Streicher-Basics

Im Team vom Streicher arbeiten insgesamt
acht Redakteur:innen. Seit Juli 1991 sind
etwas mehr als 350 Ausgaben erschienen.

Im Editorial der ersten Ausgabe heißt es:
»[…] gehören auch Sie zu jenen Leuten, die die Nase von irgendwelchen Zeitschriften schon lange richtig voll haben?«

Ein Omen?
 

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