Chemnitzer Zeitzeugen: Günther Raschke

Begonnen haben die verschiedenen größeren Angriffe britischer und amerikanischer Bomber bereits am 6. Februar 1945. Wir waren von der Schule auf dem Hauptbahnhof eingesetzt und sollten ankommende Flüchtlinge betreuen. Da gab es gegen Mittag Fliegeralarm, wir mussten in den LSR (Luftschutzraum) der Staatlichen Akademie für Technik, heute TU Chemnitz. Da fielen auch schon die ersten Bomben. Das unweit gelegene Opernhaus erlitt die ersten Schäden durch Sprengbomben.

In unmittelbarer Nachbarschaft unseres Wohnhauses in der Mozartstraße waren 4 Sprengbomben in gerader Linie von der Ecke Haydnstraße / Stollberger Straße, auf der Zimmermannstraße, in das Haus Mozartstraße 6 und am Goetheplatz gefallen. Die ersten Fensterscheiben unserer Wohnung waren zerborsten!

Nach den folgenden Angriffen am 2. und 3. März haben wir Pimpfe des Deutschen Jungvolks helfen müssen, Verschüttete bzw. Tote aus den Kellern zu bergen. So auch am 3. März nach dem Mittagsangriff. Auf der Zwickauer Straße zwischen Reichsstraße und Metropol-Kino gab es eine Fleischerei Müller. Dort mussten wir beim Bergen von verschütteten und umgekommenen Menschen helfen. Wir 15-Jährige wurden nicht in die Keller gelassen, sondern mussten in einer Kette die Mauerbruchstücke und Ziegel weiterreichen, damit die älteren Helfer in den Keller konnten. Ein toter Säugling und eine tote Frau wurden herausgebracht und im stehen gebliebenen Schlachthaus abgelegt. Unter den Toten war auch die Fleischersfrau, eine entfernte Verwandte meiner Mutter. Wir Jungen wurden dann nach Hause geschickt, als die anderen Toten herausgebracht wurden. An diesem Abend war mir das Essen vergangen.

Der 5. März ist mir noch genau in Erinnerung.

Mittags war wieder ein Angriff, besonders betroffen war die Bernsdorfer Straße. Dort war auch eine ein Jahr ältere ehemalige Spielkameradin ums Leben gekommen.

Während wir gegen 19.30 Uhr in dem einzig erheizbaren Raum, der Küche beim Abendbrot saßen, kam der Voralarm, dem bald der richtige Alarm folgte. Gegen 21.45 Welle über Welle von Bombern über uns. Dann Fauchen, Heulen und Bersten der Spreng- und Brandbomben. Das Inferno war ausgebrochen. Schreien der Kinder und vor allem der im Haus untergebrachten Flüchtlinge. Dazwischen die Stimme eines Mannes: Ruhe bewahren, Ruhe bewahren!

Wir, meine Mutter, Großmutter und Schwester und ich kauerten auf dem Fußboden, steckten die Köpfe zusammen, weil wir gemeinsam sterben wollten. Ich weiß noch, ich betete: Herrgott, mach doch ein Ende und lass schnell die Bomben kommen, mach ein Ende. Als dann ein paar Minuten später nur noch das Abfliegen der ersten Bomberwelle zu hören war, sahen wir durch die Kellerfenster, deren mit Erde gefüllten Splitterkisten davor durch die Druckwellen umgefallen und die Scheiben zerborsten waren, wie die Häuser auf der hinter unserem Haus liegenden Hübnerstraße, heute Lortzingstraße, brannten. Auch im Hof brannte der Gartenzaun.

Der Herr, der zur Ruhe gemahnt hatte, ging ins Erdgeschoß, um zu sehen, was in seiner Wohnung geschehen war. Als er zurückkam, sagte er nur: Unsere Lampe hängt noch. Aber auf einmal wurde vom Nachbarhaus, dessen Bewohner in Panik geraten waren, der Mauerdurchbruch geöffnet, obwohl sie einen noch funktionierenden Ausgang aus dem Keller zur Straße hatten. Aber das Nachbarhaus stand in Flammen, in das 4. OG war eine Phosphorbombe gefallen und Brandbomben hatten das Übrige getan. Wir glaubten auch, dass unser Haus brennen würde, denn von der Straße aus sah es so aus, da ja in den Fenstern noch Scheibenreste waren, die die Flammen zurückspiegelten. So haben wir auf einem Handwagen auf die gegenüberliegende Wiese unser Luftschutzgepäck geschafft.

Da bemerkte ich, dass unser Haus ja doch noch nicht brannte, aber brennende Balken und Bretter des höher liegenden Nachbarhauses auf unser Dach fielen. Mit Mitbewohnern sind wir dann auf den oberen Boden gegangen und haben mit Einreißhaken die Bretter  zurückgeschoben, mit der Luftschutzspritze habe ich durch das Dachfenster gelöscht, ein älterer Mann pumpte und die Frauen holten aus den voll mit Wasser gefüllten Badewannen Wasser herzu. Dass das Dach doch nicht zu brennen angefangen hatte, verdankten wir auch dem dichten Schneefall um die Null Grad herum, wodurch das Dach zusätzlich feucht gehalten wurde.

Dann auf einmal wieder Flugzeuggeräusche und Maschinengewehrfeuer Die Royal Airforce beschoss die auf der Stollberger Straße in Richtung Neukirchen flüchtende Menschen. Also wieder runter in den Keller.

Dann gegen Mitternacht, als man nur noch verzweifelte Rufe und das Knistern der lodernden Flammen hörte, sind wir in die zum Nachbarhaus angrenzende Räume gegangen und haben die Möbel von der Brandmauer weggerückt, da die Mauer schon tüchtig heiß wurde. Heute kann ich mir kaum noch vorstellen, wie ich den vollen Bücherschrank von der Mauer wegbewegt habe.

Tage danach sahen wir, dass eine Stabbrandbombe auf das Blechdach des Treppenhauses gefallen war, die offensichtlich durch den großen Luftdruck der Luftminen, die das Eckhaus Neefe- Hübnerstraße zerstört hatten, heruntergewedelt worden war, und im Hof verbrannte. In diesem Eckhaus gab es 23 Tote!

Als dann die Gefahr des Übergreifens des Feuers vom Nachbarhaus gebannt war, fielen wir, für kurze Zeit irgendwo sitzend, sofort in einen tiefen Schlaf.

Beim Morgengrauen war die große Katastrophe zu sehen, rings um uns her rauchende und noch brennende Häuser. Ich lief durch Trümmer in Richtung Goetheplatz. Dort hatte die Feuerwehr unter Bäumen während des Angriffs gestanden. Ecke Hübnerstraße / Goetheplatz war ein Löschfahrzeug total ausgebrannt, zerfetzte Schläuche hingen in den Bäumen. Die Villen rings um den Goetheplatz, das Van de Velde- Tennisklubhaus an der Goethestraße vom Esche-Tennis-Klub sowie das Ballhaus Bellevue waren in Schutt und Asche. Weiter führte mich mein Weg die Stollberger Straße in Richtung Sanatorium Zimmermannsche Stiftung. Auch dieses Krankenhaus war abgebrannt. Die Mozartstraße wieder hinunter, alles ausgebrannt.

Vom jetzigen Haltepunkt Mitte, früher Nikolaibahnhof, bis zur Mozartstraße standen noch 7 bis 9 Häuser! 

(…)

Etwas, was für mich vielleicht lebensrettend war, ist folgendes Geschehen: Ende Februar, ich war am 8.2. gerade 15 Jahre alt geworden, bekam ich eine Postkarte mit folgender Aufforderung:

„Du hast Dich zwecks Freiwilligmeldung zur Waffen-SS am 6.März 1945 um 9.00 Uhr in der Polizeikaserne Dresdner Straße zu melden. Ein Elternteil ist mitzubringen.“ 

Eine Woche nach dem Angriff dachte ich wieder daran und sagte dies meiner Mutter. Sie sagte mir: “ Diese Karte ist gar nicht bei den vielen Angriffen angekommen. Ich habe sie bereits verbrannt!“ Hätte ich mich gemeldet, wäre ich vielleicht auch noch verheizt worden wie viele junge Burschen meines Alters. Mein Vater ist noch am 6. April 1945 in Italien gefallen.

Anfang April war noch einmal ein Angriff geringeren Ausmaßes, aber für die, die es im Schloßviertel auf der Ludwigstraße betraf, war es schlimm genug, denn noch einmal wurden Bomben auf Kinder und Frauen geworfen, obgleich die Amerikaner mit ihren Bodentruppen nur wenige Kilometer von Chemnitz entfernt waren. Es war an einem Mittag und ich erinnere mich noch genau, als die Bomben detonierten, begann ich am ganzen Körper vor Angst zu zittern, die Knie schlotterten und die Zähne klapperten. Und ich wollte doch tapfer sein!

Die Quintessenz nach dem Krieg war, lieber hungern und frieren, aber ja nie wieder Krieg.
 

Hier hat der Zeitzeuge seine Geschichte erlebt:

Zeitzeugen-Broschüren

Der ewige März

Titelbild der Broschüre

Erinnerungen an eine Kindheit im Krieg


Die letzten Zeugen

Die letzten Zeugen

Als das alte Chemnitz im Bombenhagel starb

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