Chemnitzer Zeitzeugen: Helga Lehnert

Helga Lehnert
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Meine Gedanken gehen zurück auf die Kriegsjahre etwa ab 1944. Wir wohnten fast im Stadtzentrum vom Chemnitz, auf der Feldstraße gegenüber dem Zschopauer Krankenhaus. Der Krieg berührte uns zunächst kaum im negativen Sinne. Ab und zu kamen die großen Geschwister auf Heimaturlaub und brachten leckere Sachen mit: Schokolade, Butter, Zigaretten etc. So auch mein Bruder Heinz. Aber es gab auch Dinge, deren Sinn mir noch unklar war z.B. kamen täglich gefangene, die zur Arbeit geführt wurden. Meine Mutter erzählte, dass der Hauswirt sie einmal angezeigt hatte, weil sie für diese auf die Aschekübel, die abgeholt wurden, Eierkuchen gelegt hatte. Da wir aber noch 4 Kinder daheim waren, hatte man wohl auf weitere Maßnahmen verzichtet.

Bald kam der Krieg aber auch zu uns spürbar nach Hause. Die Fliegeralarme häuften sich. Wir mussten immer schnellstens in den Keller, um vor Bombenangriffen geschützt zu sein. Das war in unserem Fall nicht einfach, denn unsere kleinen Häuser hatten gar keinen Keller. Also liefen wir aus dem Haus heraus, am nächsten vorbei bogen links ab und liefen ca. 100 m zum sogenannten Versorgungszentrum. Ein großes Gebäude mit sicherem Keller. Dort gingn Soldaten und Zivilpersonen ein und aus. Ein öffentliches Gebäude also. Auf dem Weg dorthin hatte ich auch einmal Bekanntschaft mit Tieffliegern gemacht. Ein Mann zog mich ins Gebüsch an der Mauer, und ich glaube, er hat mir sogar eine Ohrfeige gegeben vor Aufregung. Nun war der Krieg unter uns.

Am 13. Februar am Abend liefen wir alle zur Bernhardstraße auf die Anhöhe, sahen einen roten Himmel und alle weinten, denn Dresden brannte. Flüchtlinge erzählten in den nächsten Tagen von dem fürchterlichen Inferno. Auch auf der Straße zeigten sich erste Schäden, aber dann ereignete sich der erste Großangriff auch bei uns. Das Lutherviertel lag in Schutt und Asche. Mir aber bleib in Erinnerung, dass ich mit meiner Mutter die Zschopauer Straße hinausgehetzt war, denn auf der Wartburgstraße war meine 16-jährige Schwester im Pflichtjahr. Dort mussten die jungen Mädchen bei den „feinen“ Leuten, wie wir sagten, im Haushalt helfen. Das Haus stand, welch ein Glück! Das zerbombte Nachbarhaus ließ uns Tote erahnen. Die Leute aber konnten sich durch einen Mauerdurchbruch ins Nebenhaus retten. Unsere Schule wurde wegen der unmittelbaren Nähe zum Südbahnhof geschlossen, und wir wurden in die Dittesschule, heute Teil der TU, unterrichtet. Sie war aber dann auch unbrauchbar, weil sie teilweise ausgebrannt war.

Aber das UNVERGESSLICHE ereignete sich am 5. März 1945 während des Großangriffes auf Chemnitz. Bereits 14 Uhr erfolgte der erste Fliegeralarm. Der Keller war vollbesetzt durch die Besucher des Versorgungsamtes Am Abend kam dann der zweite Alarm. Wir schliefen ja nicht mehr in den Betten, sondern angezogen auf Matratzen, damit wir gleich in den Keller rennen konnten. In meinem Ranzen waren u.a. Informationen, wer ich bin oder wo ich wohne und ein Tuch für den Mund mit aufgesetzter Tasche, in die wir Schnee stecken konnten bei Atemnot. Zum Glück gab es am 5. März noch Schnee. Meistens nahm ich auch meine Puppe Inge mit. Unser Vater war erkrankt bei unserer Tante, sodass wir, Mutter (45), Anneliese (16), Margot (15), beide neben der Mutter, ich (8) davor und Gisela (4) auf dem Schoß, im Keller der Dinge harten. Wir waren im großen Keller im Nebenraum. Während der Detonationen sprang die Tür, zwar mit Eisen verriegelt, auf draußen musste die Hölle los sein. Dann brannte auch unser Haus. Wir rannten die große Treppe hoch. Meine Mutter trat auf die Kinderdecke und fiel kurz hin. Draußen angekommen! Aber wohin? Bombentrichter auf den Straßen. Ich leistete mir noch einen Extragang. Immer sehr „selbstständig“ folgte ich einem Mann ins kleine Haus Nr. 13 in den Keller. Riesige Flammen schlugen uns entgegen, und die Mutter rief aufgeregt meinen Namen, damit ich sofort her komme. Wir kletterten dann über eine Bretterwand in Richtung Johanneum, ein Alters- oder Pflegeheim, und waren danach unter der Brücke an der Bernhardstraße zur „Ruhe“ gekommen.

Wie kopflos muss man sein wenn man sich unter einer Eisenbahnbrücke retten will! Meine Schwester Margot weinte bitterlich, denn sie sah, wie im nahegelegenen Haus die Flammen aus den Fenstern schlugen. Dahinter hing nämlich ihr Konfirmationskleid bei der Schneiderin. So verlor jeder bei allem großen Unglück auch ein Stück seines kleinen eigenen Glücks. Morgens sind wir dann zu unserem Haus zurück. Eine Stabbrandbombe war durch unseren Sofabock nach unten in ein Bett geflogen, das ebenfalls brannte. Wir nahmen Kinder- und Handwagen mit Federbetten und machten uns auf den Weg. Als wir bei der Schwester des Vaters auf der Lohrstraße ankamen, war die Wohnung völlig überfüllt von Menschen, die ebenfalls kein Dach mehr über den Kopf hatten. Aber uns blieb ja noch unsere Tante Hertha, die in Furth ein eigenes Häuschen inmitten ihrer Gärtnerei hatte. Da war es immer so schön. Auch „Scharnelt“ war dort. Ich weiß bis heute nicht wie er richtig hieß. Er war französischer Kriegsgefangener und arbeitete dort. Wir waren oft bei ihm im Gewächshaus, und er zeigte uns das Foto seiner Frau und seines Kindes. Also, wir freuten uns schon trotz allem, was um uns herum passierte und … fanden ein völlig zerstörtes Haus vor.

Und wie nun weiter??

Da blieb noch die Mutter des verstorbenen ersten Mannes unserer Mutter, dem Vater von Anneliese und Margot. Wir liefen also tapfer los. Die Kleine ist in der Kutsche. Ich durfte auch manchmal auf den Handwagen. Ab Wittgensdorf oder Burgstätt sollte ein Zug eingesetzt werden, sagte ein Mann unterwegs. Die Oma wohnte in Geithain! Der Weg wäre noch sehr weit gewesen. Wie groß die „Freude“ war, als 5 Leute in der kleinen Dachgeschosswohnung Unterkunft suchten, kann man sich ja denken. Mir war es egal. Alles war locker, die Leute gingen bei Alarm nicht gleich in den Keller, und die Ladenbesitzerin im Haus schenkte mir „Flüchtlingskind“ eine Tafel Kunsthonig. Man stelle sich mein Glück vor, wenn ich das nach 75 Jahren immer noch genieße. Irgendwie hatten wir Bescheid bekommen, dass wir in unsere Wohnung zurück können.

Wieder in Chemnitz angekommen, war der Krieg aber noch nicht zu Ende. Wieder mussten wir in den zum Teil kaputten Keller, denn die Amerikaner und dann die Russen rückten an und beschossen die Stadt. Erst am 8. Mai wurde das KRIEGSENDE verkündet.

Die ersten Augenblicke, als wir ins Freie traten, sind für mich wohl am prägendsten geblieben. An der Zschopauer Straße blühten die Japanischen Kirschen. Seit dieser Zeit sind sie für mich ein Symbol des Guten geworden. Und jedes Jahr im Frühling gehen wir und auch unsere erwachsenen Kinder zur Lutherstraße, wo jetzt viele dieser Bäume stehen, und erfreuen uns an dieser Pracht. Unser Sohn, wissend natürlich um meine Vorliebe und die Vorgeschichte, schenkte uns vor einigen Jahren solch einen Baum für den eigenen Garten. Leider ist er inzwischen eingegangen.

Liebe Kinder und Enkelkinder, liebe junge Leute, warum schreibe ich das alles so detailliert auf?

In der Welt herrscht in so vielen Ländern grausamer Krieg. Wir sehen es täglich im Fernsehen. Eigentliche müsste das ja reichen, den Krieg verabscheuungswürdig zu finden. Viele Menschen fliehen und suchen ein Dasein mit besseren Bedingungen bei uns und überall auf der Welt. Ein Leben ohne Krieg. Aber ich denke, dass Ihr an diesen konkreten Beispiel besser nachempfinden könnt, wenn man Sagt: BLOß KEINEN KRIEG

Übrigens; wenn heute mehrere Flugzeuge am Himmel sind, gehe ich ins Haus. Ich habe immer noch Angst.

Wir, Eure Eltern und Großeltern, wir „Alten“ wünschen Euch von ganzen Herzen Gesundheit und ein Leben in Frieden.
 


Hier hat die Zeitzeugin ihre Geschichte erlebt:
 

Zeitzeugen-Broschüren

Der ewige März

Titelbild der Broschüre

Erinnerungen an eine Kindheit im Krieg


Die letzten Zeugen

Titelbild der Broschüre

Als das alte Chemnitz im Bombenhagel starb

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