Chemnitzer Tausendsassa

Kai Winkler

Macher der Woche vom 28. Januar 2022

Kai Winkler ist in der freien Kulturszene der Stadt ein Begriff. Seit mehr als 28 Jahren ist das Alternative Jugendzentrum (AJZ) seine Heimat, wie er selbst sagt. Mittlerweile ist der 42-Jährige auch wieder im Vorstand tätig. Außerdem unterstützten er und seine Mitstreiter mit dem Kulturbündnis »Hand in Hand« Clubs in Chemnitz, die durch die Corona-Pandemie in finanzielle Not geraten waren. Und seit ca. anderthalb Jahren engagiert sich Winkler für das Projekt Kulturhauptstadt Europas 2025 – all das ehrenamtlich neben seinem Berufsalltag in der Reifenbranche. Weil das noch nicht genug ist, versucht er sich seit dem vergangenen Jahr auch noch als Barbetreiber.


Du hast ja einen vollen Terminkalender. Konntest du das vergangene Jahr schon Revue passieren lassen und was war dein einprägsamstes Ereignis 2021?
Kai Winkler:
Das war ganz klar der European Peace Ride. Das war für mich die emotionalste Sache, die ich gemacht habe bzw. auch selber mit organisiert habe.

Während die Bewerbungsphase für den Titel »Europäische Kulturhauptstadt 2025« war dies einer der Höhepunkte: Im September 2020 brachten 39 Radfahrer:innen, eine:r für jeden Stadtteil, das offizielle Bewerbungsbuch von Chemnitz nach Berlin. Dabei hatte die Route der Aktiven die Form eines C auf der Landkarte. Aus dieser Aktion ist mehr geworden – der European Peace Ride (EPR). Im vergangenen Jahr fuhren fast 90 Radfahrer:innen innerhalb von 36 Stunden von Chemnitz nach Prag und wieder zurück. Dabei meisterten sie über 413 Kilometer und 5.500 Höhenmeter. Vorbild ist die legendäre internationale Friedensfahrt, das von 1948 bis 2006 bedeutendste Amateurrennen im Radsport.

Warum war das für dich das einprägsamste Ereignis?
So eine Veranstaltung kann man nicht einfach so üben. Das war so auf Kante genäht, mit so vielen Akteuren, die sich daran beteiligten. Nicht auszudenken, was da hätte alles schiefgehen können. Es musste einfach funktionieren. Wie wir uns bei der Ankunft in Chemnitz am Karl-Marx-Kopf in den Armen lagen, das war sehr emotional. Damit habe ich aber meiner Gesundheit keinen Gefallen getan.

Weil du die 36 Stunden, in denen gefahren wurde, nicht geschlafen hast oder die drei Wochen vorher schon nicht? Dazu muss man wissen, dass du als Organisator nicht per Fahrrad mitgefahren bist.
(lacht) Es wäre schön, wenn es nur drei Wochen gewesen wären. Es waren mehrere Phasen, in denen ich nicht schlafen konnte. Wenn man mit Partnern jenseits der Grenze zusammenarbeitet, geht auch einiges schief. Das sind Mentalitäts- und Verwaltungsfragen, bei denen man unterschiedlich tickt. Das meine ich jetzt gar nicht wertend, man geht einfach mit anderen Voraussetzungen an die Sache ran. Ganz ehrlich: Ich wäre lieber an dem Tag mitgefahren. Auf dem Fahrrad hätte ich wenigstens meine Ruhe gehabt.

Die Idee des EPR geht zurück auf die Übergabe des Bid Book im September 2020. Das war eine unglaublich öffentlichkeitswirksame Aktion. Wie bist du dazu gekommen? Hast du wieder einmal zu spät den Finger runtergenommen, als Mitstreiter gesucht wurden?
Also wenn ich das jetzt erneut erzähle, werden es mir auch viele wieder nicht glauben. Aber es war genau so: Um ein Radsportteam nebenbei aufzubauen, haben wir, Steffen Ulbrich und ich, 2018 die Firma Fit4Bike gegründet. Damit sind wir sehr aktiv im Radsport unterwegs, haben Kontakt zu Vereinen und fahren Rennen. Wir wollten mit Fit4Bike ein Netzwerk von professionell geführten Radverleihstationen aufbauen. Denn das gibt es im Erzgebirge noch nicht. Als wir damit begonnen haben, auch schon Gespräche mit großen Investoren führten, kam die Pandemie und die Nachfrage nach Fahrrädern stieg. Die Investoren, die uns Räder zur Verfügung stellen wollten, konnten plötzlich ihren eigenen Bedarf nicht mehr decken. Und Hotels wollten natürlich nicht mit uns reden, weil sie in dem Zeitraum gar nicht geöffnet hatten. Also standen wir mit unserer neu gegründeten Firma und unserem Geschäftsmodell da und fragten uns: Was machen wir jetzt? Gleichzeitig wurde an der Bewerbung zur Kulturhauptstadt Europas gearbeitet und meinem Geschäftspartner und mir fehlte in diesem Prozess der Sport. Ich habe Sören Uhle, den Geschäftsführer der CWE, kennengelernt und wir kamen ins Gespräch. Als das dann zum European Peace Ride führte, haben wir unsere Finger natürlich nicht heruntergenommen. Denn das war genau unser Thema.

Was hast du nach der Bid Book-Übergabe gefühlt?
Das war überwältigend. Mit dieser Fahrt standen wir plötzlich in den großen deutschen Tageszeitungen. Emotional war das natürlich eine Riesennummer und aus dieser Sache ist ja dann alles Weiterführende entstanden. Ich glaube, beim C habe ich gesagt, das war das Krasseste, was ich je erlebt habe. Jetzt habe ich das beim EPR letztes Jahr gesagt. Nun bin ich gespannt, was dieses Jahr kommt. Für mich persönlich wurde dadurch mein Leben komplett über den Haufen geworfen und ich sortiere mich gerade in vielen Sachen ganz neu.

Kai Winkler bezeichnet sich als »den größten Spießer, den ich kenne«: Verheiratet seit vielen Jahren, hat zwei Kinder und sammelt Räuchermänner. Doch dieses spießige Leben verbirgt er nach außen gut.

Seit mittlerweile drei Jahren findet jeder, der dich googelt, regelmäßig Presseartikel über dich. Woran liegt das? Du scheinst nur so vor verschiedenen Ideen zu sprudeln. Bist du so ein Tausendsassa?
Das bin ich tatsächlich. Ich kann nicht Nein sagen. Meistens kommen die Ideen nicht von mir sondern von anderen. Aber wenn es um die Ausgestaltung geht, kann ich mit meinen Kontakten helfen. Ich bin in sehr vielen Welten unterwegs, habe zum einen ein ganz normales wirtschaftliches Unternehmen in der Reifenbranche, zum anderen komme ich aus dem AJZ und bin seit Jahren mit dem Haus verbunden. Ich bin dort als Booker (Anm. der Redaktion: Person, die Künstlerinnen und Künstler bucht) tätig, für die Bar zuständig und bin im Vorstand. Und dann war die Pandemie ein Grund für meine Präsenz. Durch Einschränkungen und geschlossene Clubs mussten wir uns in alle Richtungen neu erfinden. Es geht um das Überleben einer ganzen Branche. Und da waren ich und meine Kolleg*innen mit unserem Kulturbündnis Hand in Hand regelmäßig in den Medien.

Das Kulturbündnis »Hand in Hand« wurde Anfang 2018 als Reaktion der Kultur- und Clubszene auf einen innerstädtischen rechten Aufmarsch gegründet. Zu den Erstunterzeichner:innen gehörten folgende Initiativen und Einrichtungen: Aaltra, AJZ, Atomino, Kulturhaus Arthur, Lokomov, N’dorphin Club, Nikola Tesla, Odradek, Subway to Peter, Spinnerei, Transit, Weltecho und Zukunft sowie das Fuego a la Isla Festival, der freie Radiosender Radio T und die Chemnitzer Stadtindianer. Während der Corona-Pandemie half das Bündnis mit Soli-Tickets oder dem Verkauf des Kulturbieres, das Überleben der Clubszene zu sichern.

Wir sitzen für das Interview im Subway to Peter: Du fungierst auch gelegentlich als Kneipenbetreiber. Was hast du bzw. was habt ihr vor mit der Chemnitzer Kultlocation, die schon ein paar Jahre geschlossen hat?
Kai Rösner und Uwe Schmidt, die bereits zu den alten Zeiten im »Subway to Peter« tätig waren, kamen mit der Idee eines Mikroprojektes, das sich »Re:AnimierBar« nennt, auf mich zu. Wir wollen diesen Ort, das Subway to Peter, wieder öffnen, weil wir einfach Bock drauf haben, in alten Zeiten zu schwelgen. Im vergangenen Jahr fand eine Party hier statt, die ein voller Erfolg war. Jetzt versuchen wir, mit dem Konzept so viel Lust zu schaffen, dass es vielleicht jemanden gibt, der hier reingeht und es betreibt. Wir werden dieses Jahr zwei Veranstaltungen durchführen. Eine im Mai und eine im September, die um den Subway- Geburtstag liegen wird. Wenn es so kommt, wie wir uns das vorstellen, wird es wie zu alten Zeiten. Verbunden mit der Hoffnung, diese Räumlichkeiten wieder für andere zu öffnen.

Was hat dich davon überzeugt, dass Chemnitz Kulturhauptstadt sein kann?
Mich hat das im Bid Book auf Chemnitz zugeschnittene Machertum gereizt, weil das Chemnitz ist. Dieses Machertum findet sich in der Stadt an jeder Stelle wieder. Das hat auch etwas mit unserer Geschichte zu tun. Wir können uns nicht mit Hochkultur schmücken, weil wir das einfach nicht sind. Das wäre unehrlich. Insofern war das Bid Book sehr authentisch. Dann ist Chemnitz eine sehr zerrissene Stadt, was unser braunes Hinterland angeht. Dass sich getraut wurde, das einmal offen zu thematisieren, fand ich super. Wir hätten die Jury auch nicht überzeugt, wenn wir uns irgendetwas aus den Fingern gesaugt hätten.

Was meinst du mit braunem Hinterland?
Ich bin davon überzeugt, dass wir in Chemnitz ein Nazi-Problem in der Vergangenheit hatten, immer noch haben und, wenn wir als Stadt und als Gesellschaft nicht ein paar Anstrengungen unternehmen und uns damit auseinandersetzen, auch weiterhin haben werden. Das hat sich in den 90er-Jahren angebahnt und bis jetzt durchgezogen. Deshalb ist es wichtig, etwas dagegen zu tun. Es gibt ganz viele Menschen und Initiativen in der Stadt, die sich gegen Rechtsextremismus stellen.

Woher kommt deine Liebe zu dieser Stadt?
Meine Liebe zu Chemnitz musste erst wachsen. Ich bin mit sechs Jahren aus Radebeul gekommen, auf dem Sonnenberg groß geworden, in Hilbersdorf weiter gewachsen, um dann über Adelsberg auf dem Kaßberg zu landen. Ich kann über unsere Stadt ganz gut mitreden. Ich war und bin teilweise immer noch in verschiendenen Vereinen aktiv, fand im AJZ meine Heimat und habe mir die eigene Welt von außerhalb nach Chemnitz geholt. Seit der Corona- Krise agieren und interagieren wir in der Kulturszene viel mehr miteinander, denken gemeinsam Sachen.

Wo siehst du Chemnitz im Kulturhauptstadtjahr 2025?
Weil sich so viele Akteur*innen beteiligen, wird es ein großartiges Kulturhauptstadtjahr. Wichtig ist, dass es nachhaltig wird und über 2025 hinaus existiert.

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