Auf die Haltung kommt es an

Klasse 2b der Rosa-Luxemburg-Grundschule

Macher der Woche vom 11. Februar 2022

Gerade mal ein Jahr in der Schule und schon Preisträger: Die heutige Klasse 2b der Rosa-Luxemburg-Grundschule auf dem Brühl ist mit dem Sächsischen Integrationspreis ausgezeichnet worden: 26 Kinder aus zehn Nationen, mehr als die Hälfte der Kinder haben einen Migrationshintergrund. Im Macher der Woche-Interview erzählen Klassenlehrerin Madlen Dost und Schulsozialarbeiter Gunnar Kaufmann, warum das vor allem eine Bereicherung ist.


Herzlichen Glückwunsch zum Sächsischen Integrationspreis. Für welches Projekt wurden Sie genau ausgezeichnet?
Gunnar Kaufmann:
Danke, aber das war nicht für ein konkretes Projekt. Sondern für den Alltag, für den Umgang innerhalb der Klasse.
Madlen Dost: Die Jury fand es gut, wie wir die Klasse durch die Pandemie geführt haben. Offenbar ist das, was wir gemacht haben, nicht selbstverständlich. Aber das war nur möglich, weil alle an einem Strang ziehen: Kinder, Eltern, Schulsozialarbeiter und ich als Lehrerin.

Was machen Sie anders?
Dost:
Eigentlich gar nicht so viel. Wir nehmen die Kinder an, wie sie sind. Wir wollen sie zu einem Team werden lassen, in dem es egal ist, wer etwas gut kann oder aus welchem Land er kommt.
Kaufmann: In der Klasse wird Vielfalt als etwas Tolles verstanden. Verschieden zu sein wird als etwas Schönes empfunden. Nichts, wovor man Angst haben sollte. Jeder hat etwas zu erzählen und jeder bringt etwas Anderes ein. Das ist mehr ein Prozess als ein Projekt.

Aber wie genau setzen Sie das um?
Dost:
Wir lernen zum Beispiel, wie man sich in der jeweils anderen Sprache begrüßt. Und ich bin gleich in der ersten Schulwoche mit den Kindern in die Jugendherberge gefahren, damit wir als Team gemeinsame Zeit erleben. Anderes Beispiel: Wir haben die Rabatte vor der Schule vom Müll befreit und dann haben die Kinder Hinweisschilder aufgestellt. Solche Aktionen schweißen zusammen.
Kaufmann: Das Ziel ist ein wertschätzender Umgang. Einmal in der Woche gibt es die Murmelrunde, in der jedes Kind sagen kann, wer aus der Klasse ihm etwas Gutes getan hat. Dem gibt er eine Murmel. Das klingt unspektakulär, ist aber ein wichtiger Baustein.
Dost: Und im Sommer haben wir ein Fest veranstaltet, bei dem die Eltern und alle Geschwister eingeladen waren. Jeder hat etwas zu Essen mitgebracht. Sie glauben nicht, wie wunderbar das war.
Kaufmann: Der Knackpunkt ist, dass in dieser Klasse die Eltern mitziehen. Das ist nicht selbstverständlich. Frau Dost bemüht sich sehr um die Eltern, organisiert zum Beispiel für die Elternabende einen Dolmetscher mit. Er spricht mehrere Sprachen.
Dost: Der ist super, weil er nicht nur unsere Worte übersetzt, sondern auch die arabische Kultur versteht. Ich rufe manche Eltern aber auch an, wenn ich Elternbriefe verschickt habe und frage, ob sie alles verstanden haben. Wir können uns gut verständigen, aber mit Dolmetscher ist das nochmal etwas ganz anderes.

Der sächsische Integrationspreis würdigt Projekte und Initiativen, die sich besonders für die Integration von Migrantinnen und Migranten in die Gesellschaft einsetzen. Ein Schwerpunkt des Wettbewerbs 2021 war die Integration unter Pandemiebedingungen. Die Jury wählte aus 59 Vorschlägen von Vereinen, Verbänden, Initiativen und Unternehmen drei Preisträger aus, die sich über jeweils 3000 Euro freuen konnten. Neben der Klasse waren das Jobcenter und das Diakonische Beratungszentrum im Vogtland und der Mosaik Leipzig e.V.

Wie hat der Unterricht in Zeiten von Homeschooling geklappt?
Kaufmann:
Die Kinder waren sehr lange zu Hause. Erst haben wir versucht, mobile Endgeräte zu organisieren und alles online zu machen. Bei der Anmeldung bei Lernsax haben sich die Eltern gegenseitig sehr geholfen. Aber es hat trotzdem nicht bei allen geklappt. Also sind wir schnell dazu übergegangen, jeden Freitag loszuziehen und die Aufgaben für die nächste Woche in die Briefkästen zu stecken.
Dost: Ich wollte die Kinder nicht verlieren. Wenn der Draht so lang wird, wie findet man wieder an den Punkt zurück? Ich war nicht bereit, die Kinder loszulassen.

Wie lange waren Sie da immer unterwegs? Und das über Wochen hinweg.
Dost:
Vielleicht so zwei, drei Stunden. Die Eltern haben uns unterstützt und so konnten wir auch für zwei, drei Kinder die Aufgaben bei einem reinwerfen. Und das ging noch weiter: Einige Eltern haben ein anderes Kind mit in ihr Homeschooling aufgenommen. Das hat mich unglaublich stolz gemacht.

Wie würden Sie die Klasse 2b beschreiben?
Kaufmann (überlegt lange):
Sehr sozial.
Dost: Genau das hätte ich auch gesagt. Klar, gibt es auch mal Streit.
Kaufmann: Aber die Kinder sind füreinander da. Sie haben Spaß dabei, den anderen zu helfen. Das ist toll zu sehen, wie Solidarität gelebt wird. Und sie nehmen unvoreingenommen neue Kinder auf.
Dost: Es ist mir sehr wichtig, dass die Kinder wertschätzend miteinander umgehen und lernen, Konflikte unter sich und vor allem sozial zu lösen. Unsere wichtigste Klassenregel: Wir gehen freundlich miteinander um.
Kaufmann: Ich bin sehr gerne in der 2b. Es gibt in der Schule noch sieben andere Klassen, aber in dieser wird vieles von dem, was mir vorschwebt, schon vorgelebt. Da fällt meine Arbeit auf fruchtbaren Boden. Diese Haltung, diese Einstellungen aller Beteiligten – das würde ich mir überall wünschen.

Was meinen Sie, warum ist das nicht überall so?
Dost:
Wir sind natürlich alle an den Lehrplan gebunden. Aber das ist eben nicht alles. Man hat Freiräume als Lehrer und da kann man Prioritäten setzen. Das ist anstrengend, denn man muss dranbleiben. Jedoch muss man ergänzen, dass leider nicht jede Schule einen Schulsozialarbeiter hat. Dabei wäre das so wichtig. Große Schulen brauchen sogar zwei, am besten einen Mann und eine Frau.

Was kann Schulsozialarbeit leisten?
Kaufmann:
Wir sind die Schnittstelle zwischen Jugendhilfe und Schule. Unsere Arbeit besteht aus drei Säulen. Wir unterstützen die Lehrer in sozialpädagogischer Hinsicht und können Eltern Hilfe vermitteln. Für die Kinder sind wir in erster Linie das offene Ohr. Zu uns können sie jederzeit kommen – ohne gleich ausgeschimpft oder dafür irgendwie bewertet zu werden.
Dost (lacht): Manche Kinder sagen Herr Gunnar.
Kaufmann: Ja, das stimmt. Sie dürfen mich duzen. Leider erledige ich oft den Feuerwehr-Job. Mir wäre es lieber, ich könnte mehr präventiv arbeiten.
Dost: Und da merkt man, wie wichtig auch der gute Kontakt zu den Eltern ist. Denn die Kinder bringen Probleme von Zuhause natürlich mit.
Kaufmann: Korrekt. Ein Kind, das Probleme macht, hat Probleme.

Warum ist der gute Draht zu den Eltern so wichtig?
Kaufmann:
Alles, was man tut, braucht einen fruchtbaren Boden. Wenn die Eltern nicht mitziehen oder zu Hause gegen deine Arbeit reden, kannst du dich abstrampeln wie du willst.

Was bedeutet Integration für Sie?
Kaufmann:
Das ist keine Einbahnstraße. Wenn wir versuchen, dem anderen überzustülpen, was uns gefällt, wird es nicht funktionieren. Jeder kann von dem anderen lernen.
Dost: Es bedeutet, dass man sich annähert. Dass etwas Gemeinsames wachsen kann. Ich lerne jeden Tag von den Kindern.
Kaufmann: Dass man sich ernst nimmt.
Dost: Dass man das Andere respektiert und versucht zu verstehen. Dass man offen kommuniziert. Gerade unter unseren Eltern klappt die Kommunikation super. Es gibt einen Klassenchat, in dem jeder Nachfragen stellen kann, jeder hilft dem anderen.

Vorgeschlagen wurden die beiden und ihre Klasse von den Eltern. „Wir haben das im Elternchat besprochen“, berichtet Elternsprecher Sascha Hinkelmann. Trotz Corona und der vielen Nationen in der Klasse habe der Unterricht richtig gut funktioniert, findet Hinkelmann, der übrigens zu den Eltern gehörte, die ein zweites Kind zum Homeschooling zu sich genommen haben. „Ich war mit meiner Tochter eh Zuhause“, sagt er. Dass die Klasse gewonnen hat, habe „alle von den Socken gehauen. Wir sind alle mega stolz. Es tut der Schule gut, es tut dem Viertel gut.“ Ohne die Klassenlehrerin und den Schulsozialarbeiter würde es nicht so gut laufen, betont Hinkelmann. „Da wird super Arbeit geleistet. Wir sind ne coole Klasse und auch ne coole Elternschaft. Klar ist da die Sprachbarriere. Aber wir helfen uns gegenseitig, unkompliziert, auf kurzen Wegen. Diesen respektvollen Umgang unter den Eltern spüren natürlich auch die Kinder. So sollte Integration ablaufen.“

Was bedeutet es Ihnen, dass die Eltern Sie für den Preis nominiert haben?
Kaufmann:
Das ist ein sehr schönes Kompliment für unsere Arbeit. Dass das, was wir leisten, wahrgenommen und auf diese Weise gewürdigt wird, empfinden wir als große Wertschätzung.
Dost: Überhaupt, dass wir nur dafür vorgeschlagen wurden. Dass wir dann noch gewinnen, verrückt.

Vervollständigen Sie bitte den folgenden Satz: Schule ist für mich ein Ort…
Dost:
Ein Ort, an dem die Basis für das soziale Miteinander gelegt wird.
Kaufmann: Es sollte ein Ort sein, an dem Werte transportiert werden. Keine reine Wissensfabrik.
Dost: Ein Treffpunkt. Hier begegnen sich so viele unterschiedliche Leute, die sich in ihrer Freizeit nie treffen würden – Eltern wie Kinder. Es ist ein Ort, an dem alle voneinander lernen können.
Kaufmann: Und es sollte ein sicherer Ort sein, an den die Kinder angstfrei gehen können.

Was wünschen Sie sich für das Kulturhauptstadtjahr 2025?
Dost:
Dass bis dahin jede Schule einen Schulsozialarbeiter hat. Und dass die Projekte, die rund um Chemnitz 2025 entstehen, nachhaltig sind. Es nützt uns nichts, wenn irgendwo ein Café eröffnet, das nach ein oder zwei Jahren wieder schließt weil die Förderung ausläuft. Dinge brauchen Zeit zum Wachsen, um langfristig zu wirken.
Kaufmann: Das sehe ich an der sozialen Arbeit. Meine Arbeit kann man schlecht in Zahlen messen. Es geht darum, Beziehungen aufzubauen und Werte zu transportieren. Das braucht Zeit. Wenn das gut klappt, dann sind Kinder später weniger anfällig für undemokratische Denkweisen.
Dost: Deshalb sollte es nicht nur dieses oder jenes Projekt geben. Es muss etwas Grundlegendes gesät werden, dann wird es Früchte tragen. Dafür brauchen wir Geduld. Wenn ein deutsches Kind in der Grundschule zum Beispiel eine syrische Freundin hat, dann macht das etwas mit ihr. Es ändert ihre Denkweise und legt den Grundstein für eine Haltung. So wird das Kind mit ziemlicher Sicherheit auch als Erwachsener dafür einstehen, wenn es zum Beispiel mitbekommt, dass ein Mensch aus Syrien beleidigt wird. Kindergarten und Schule sind sehr gute Orte, um eine Haltung zu entwickeln. Daraus entsteht alles, das ist die Basis.

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