Musikschule mit kanadischer Note

Nancy Gibson

Macherin der Woche vom 2. Oktober 2020

70 Jahre Musikschule Chemnitz – ein Jubiläum, das Anfang Oktober mit einer Festwoche und einem großen Konzert gefeiert werden sollte. Die Corona-Pandemie machte der Direktorin Nancy Gibson, ihren Lehrer*innen und Schüler*innen einen Strich durch die Rechnung. Nichtsdestotrotz wird gefeiert. „Ein Geburtstag ist ein festes Datum, an dem nicht gerüttelt wird“, erzählt Nancy Gibson schmunzelnd. Das Fest wird kleiner als geplant ausfallen und das Festkonzert im Opernhaus findet im nächsten Jahr statt.


70-jähriges Bestehen der Musikschule. Statt eines großen Festes fällt das Jubiläum jetzt kleiner aus. Wie traurig sind Sie?
Nancy Gibson:
Genauso traurig, wie alle anderen, die in diesem Jahr große Veranstaltungen oder Jubiläen geplant haben. Der Geburtstag der Musikschule ist nur eine von hunderten Veranstaltungen alleine in Chemnitz, der nicht wie ursprünglich geplant stattfinden kann.
Wir hatten ein großes Festkonzert im Opernhaus mit ehemaligen Schülern und prominenten Menschen aus der Stadt vor. Das müssen wir nun um ein Jahr verschieben. Die Konzerte in der Festwoche haben wir stark beschränkt. Es dürfen nur maximal 50 Zuschauer in den Konzertsaal. Jeder Fachbereich der Musikschule wird sich mit einem kleinen Konzert präsentieren. Am 9. Oktober findet ein Festakt statt, zu dem Menschen, die der Musikschule nahestehen, eingeladen sind. Es werden kleine musikalische Beiträge und Gastreden geben.

Die Musikschule hat wieder geöffnet. Wie ist die Arbeit unter diesen Bedingungen?
Es ändert sich von Woche zu Woche. Momentan ist ein normaler Unterricht noch nicht möglich. Besonders für die Bläser und die Sänger gibt es bestimmte Verordnungen. Unsere Ensembles, wie Chor oder die Orchester, müssen in entsprechend großen Räumen proben und das manchmal auch aufgeteilt.
Außerdem finden derzeit keine Sprechzeiten vor Ort statt, sondern nur telefonisch oder per Mail. Ein Problem ist der Umgang mit den Eltern. Die müssen derzeit draußen vor der Schule auf ihre Kinder warten, weil wir so wenig wie möglich Menschen in der Musikschule sein sollen. Im Winter wird das aufgrund der Witterungsbedingungen schwierig. Wir wollen ja niemanden bei Kälte oder im Regen draußen stehen lassen. Dafür müssen wir eine Lösung finden. Zumindest für die kleineren Kinder.

Die Organisation klingt nach viel Arbeit?
Das ist es auf alle Fälle. Diese Corona-Bestimmungen und alles, was damit zusammenhängt, beschäftigt mich ca. 20 Prozent meiner Arbeitszeit. Das ist schon sehr viel. Trotzdem sind wir sehr froh, wieder geöffnet zu haben. Es war eine grandiose, emotionale Eröffnungswoche. Alle sind sehr diszipliniert den Maßnahmen gefolgt, weil sie ebenfalls glücklich sind, ein Stück Normalität wiederzuhaben.

Für die gebürtige Kanadierin eine völlig neue Herausforderung in ihrem zwölften Jahr an der Städtische Musikschule Chemnitz. Aufgewachsen in Toronto, erhielt sie ihre erste musikalische Ausbildung an Klavier und Violine. In ihrer Heimat studierte sie Gesang, weitere Studien schlossen in London und der Opernschule in Glasgow an. Seit 1992 ist Chemnitz ihr Zuhause – mit ihrem Mann, einem deutschen Cellisten. Wir haben entschieden, dass Deutschland der beste Lebensmittelpunkt für uns ist.“

Ein ziemlich ungewöhnlicher Weg nach Chemnitz. Wie kam es dazu?
Als Musikerin habe ich Gesang und Geige studiert und als angehende Profi-Musikerin suchte ich ein Engagement. Nach einer großen Vorsinge-Tour in Deutschland kam ein sehr gutes Angebot aus Chemnitz. Ich war genau das, was sie gesucht haben. Seitdem bin ich hier. Und wenn man dann Kinder bekommt, ein Haus baut und sich einen Hund anschafft, ist man sehr stark verwurzelt (lacht).

Bereuen Sie es?
Mittlerweile nicht mehr. Chemnitz ist eine großartige Stadt. Was sie bietet: viel Natur, Grün, Angebote in Sport und Kultur. In 15 Minuten Fahrzeit ist man auf dem Land. Das finde ich sehr schön. Das wird meiner Meinung nach zu wenig gewürdigt: Viele Chemnitzer scheinen nicht zu wissen, wie die Situationen in anderen Städten sind. Die Lebensbedingungen sind hier hervorragend.

Das klingt danach, als hatten Sie anfangs Probleme?
Es kam vieles zusammen. Ich konnte die Sprache nicht so gut und habe die Mentalität der Menschen im Osten nicht verstanden. Mir war nicht bewusst, wie nah die Wende noch war und was das mit den Menschen hier gemacht hat. Die Wunden waren noch ganz frisch. Ich war absolut naiv und habe damals nicht begriffen, was die Wende für die ostdeutschen Bürger bedeutete. Inzwischen ist mir vieles klarer.

2009 sind Sie dann von der Bühne an den Schreibtisch gewechselt. Wie sind Sie Leiterin der Musikschule geworden?
Da sind viele Zufälle zusammengekommen. Ich wollte ein Programm für Senioren in der Stadt anbieten und habe mich an die damalige Kulturbürgermeisterin Heidemarie Lüth gewandt. Sie hat mich mit Ute Kiehn-Dziuballa, zu der Zeit Chefin des Kraftwerks, und der ehemaligen Verwaltungsleiterin der Musikschule, Brigitte Poster, bekannt gemacht. Gemeinsam entwickelten wir eine Idee, um „Musik für Senioren“ anzubieten. Daraus ist das heute immer noch beliebte Format „DA CAPO“ entstanden. Durch die Zusammenarbeit bin ich auf die ausgeschriebene Stelle aufmerksam geworden, die ich nun seit dem 30. Juni 2009 ausführe.

Am 1. Oktober 1950 wurden drei Chemnitzer Volksmusikschulen feierlich eröffnet. Sie waren den Grundschulen Humboldtschule, Comenius-Schule und Andréschule angegliedert. Die Gründer waren Werner Hübschmann (Komponist), Herbert Kettwig (Musikpädagoge) und Paul Kurzbach (Komponist). Am Anfang lag der Aufgabenschwerpunkt bei der Vermittlung von Musik für die Volksinstrumente: Akkordeon, Streichinstrumente, Klavier, Blockflöte, Zither und Gesang. Später wurde die Musikschule von den zentralen Behörden beauftragt, Nachwuchs für die Orchester und Theater auszubilden. Zuerst war die Musikschule Gast in verschiedenen allgemeinbildenden Schulen, später in einem Hinterhofgebäude auf der Dresdner Straße ansässig. Ab dem Schuljahr 1985/86 konnte die Musikschule unter der Leitung von Walter Schindler endlich ihr neues und eigenes Domizil übernehmen: das schöne Stadthaus an der Gerichtsstraße 1. 2013 wurde der Anbau mit dem großen Konzertsaal, dem Bandprobenraum und einigen Unterrichtsräumen fertiggestellt. Aktuell wird die 2. Etage des Gebäudes renoviert und ein Teil der Kollegen unterrichtet im Ausweichquartier in der Karl-Liebknecht-Straße. Heute ist die Arbeit der Städtischen Musikschule in mehrere Fachbereiche gegliedert: Streichinstrumente, Tasteninstrumente, Zupfinstrumente, Gesang, Elementare Musikpädagogik mit Musikalischer Früherziehung, Tanz und Seniorenunterricht, Rock-Pop-Jazz und Blasinstrumente. Ein Teil des Früherziehungsunterrichtes wird direkt in Schulen und Kindergärten gegeben. Zurzeit unterrichten rund 100 Lehrer ca. 2500 Schüler an der Musikschule.

Was waren Ihre Highlights in elf Jahren als Direktorin der Musikschule?
(Wie aus der Pistole geschossen) Für mich eindeutig die Eröffnung von unserem Neubau und dem Konzertsaal. Wir hatten einen sehr tollen Empfang und ein grandioses Festkonzert. Das war unschlagbar, das war einfach unglaublich. Ich denke, viele Menschen, die da waren, können das bestätigen. Viele städtische Partner haben uns dabei unterstützt. Das werde ich mein Lebtag nicht vergessen.
Ich will aber auch betonen, dass wir große Erfolge mit unseren Schülern feiern dürfen. Jedes Jahr nehmen einige am Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ teil. Das sind sowohl für uns Lehrer als auch für die Schüler immer Höhepunkte, die man nie vergisst. Außerdem bleiben vielen Aufführungen in Erinnerung. Beispielsweise die Konzertserie mit dem Opernhaus „Viva la Musica“ oder das Traumkonzert mit der Behindertenbeauftragten der Stadt. Es ist jedes Mal faszinierend zu sehen, wie Menschen mit Behinderungen musizieren. Da bekomme ich Gänsehaut.

Angelehnt an den Titel Sportstadt – Ist Chemnitz auch eine Musikstadt?
Absolut. Welche Stadt dieser Größe hat eine solche Philharmonie, ein eigenes Orchester oder so ein Opernhaus. Und wir haben einige tolle Bands. Außerdem ziehen Veranstaltungen wie „Hutfestival“ oder „Fête de la Musique“ die musikinteressierten Chemnitzer zahlreich in die Stadt.
Schade, dass die Menschen diese Angebote nicht immer so wahrnehmen, wie sie es verdient hätten. Bei den Sinfoniekonzerten müssten normalerweise Menschenschlangen stehen, um hineinzukommen. Aber es sind immer Plätze frei. Die Chemnitzer müssen neugieriger sein, auch auf Dinge, die sie nicht auf Anhieb interessieren.

Sie engagieren sich stark für Chemnitz: Im Freundeskreis 2025, in der AG Friedenstag, um nur zwei Beispiele zu nennen. Warum tun Sie das?
(lacht) Vielleicht ist es eine Gegenreaktion auf meine ersten Monate in Chemnitz. Als ich jeden Morgen aufgewacht bin und mich gefragt habe, was ich hier eigentliche mache. Ich habe lange gebraucht, bis ich mich wohlgefühlt habe, sowohl beruflich als auch privat.
Mein Engagement für die Stadt besteht aus Beobachten – aus Sicht einer Auswärtigen. Von Jahr zu Jahr ist eine wirklich positive Entwicklung in Chemnitz feststellbar. Neben dem Stadtbild sind es auch die Chemnitzerinnen und Chemnitzer selber, die sich entwickeln und lockerer werden. Das größte Problem ist, dass die Bewohner nicht stolz auf ihre Stadt sind. Die schämen sich dafür. Das muss sich ändern – auch in Hinblick auf die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025. Ich möchte helfen, die Stadt so wahrzunehmen und zu begreifen: Was sie alles bietet und wie großartig sie ist.

Haben Sie vor, nach ihrer Tätigkeit hier, zurück nach Kanada zu gehen?
Chemnitz ist Heimat geworden und wir würden sehr viele Menschen, die wir kennengelernt haben, vermissen. Ich kann mir nicht vorstellen, Chemnitz für immer zu verlassen. Das würde mein Herz brechen. Aber es ist schwer, seine Heimat so weit weg zu wissen. Von Jahr zu Jahr wird das Gefühl stärker, öfter nach Kanada fahren zu wollen. Wenn ich dann Rentnerin bin, werde ich sicherlich ein paar Monate im Jahr dort leben. Vorausgesetzt das Geld reicht. (lacht)

Die Stadt hat das ehrgeizige Ziel, Kulturhauptstadt Europas 2025 zu werden. Was kann die Musikschule dazu beitragen?
Wichtig ist, was wir alle dafür tun können: Und zwar gut darüber reden und uns trauen zu träumen. Ich bin hundertprozentig überzeugt, dass der Titel Europäische Kulturhauptstadt der Stadt einen großen Schub gibt. Die Musikschule wird sich stark einbringen, das steht sicher!

 

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