Das Profil des Kraftwerks ist die Vielfalt

Ute Kiehn-Dziuballa

Macherin der Woche vom 13. September 2019

Seit 20 Jahren leitet Ute Kiehn-Dziuballa die Geschicke des Kraftwerk-Vereins Chemnitz. Das Soziokulturelle Zentrum, inzwischen an der Kaßbergstraße zu Hause, steht für ein Vierteljahrhundert generationen- und spartenübergreifende Arbeit. Bedeutende Veranstaltungen haben ihren Ursprung im Kraftwerk: So fand das erste SPLASH 1998, damals noch in den Räumlichkeiten an der Zwickauer Straße statt. Unzählige Erinnerungen verbindet Ute Kiehn-Dziuballa mit dem Haus. Ende des Jahres verabschiedet sie sich als Geschäftsführerin. Bis Ende des Jahres unterstützt sie noch ihre Nachfolgerin. Zeit, um einen Rückblick zu wagen.


Mit welchen Gefühlen werden Sie Ende des Jahres gehen? Was wird überwiegen: Das lachende oder das weinende Auge?
Ute Kiehn-Dziuballa:
Es gibt im Jüdischen ein sehr schönes Sprichwort: „Ein jegliches hat seine Zeit“. 20 Jahre sind eine lange Zeit und insofern denke ich, es ist ein guter Zeitpunkt aufzuhören und zu gehen. Ansonsten wird wohl das lachende Auge überwiegen. Es war eine schöne Zeit, aber es waren auch viele Herausforderungen, die mich Kraft gekostet haben. Auch an mir geht der Abnutzungs- oder Altersprozess nicht spurlos vorbei. In der Kultur-, Kinder- und Jugendarbeit schaut man selten auf die Zeit. Oft waren es Sechs-Tage-Wochen. Insofern bin ich ein bisschen müde geworden. Deshalb freue ich mich, wenn jemand mit ganz viel Kraft kommt, der an Altbewährtem festhält, aber auch auf neue Formate setzt.

Werden Sie schwer loslassen können?
Natürlich ist das nach 20 Jahren schwer. Es war für mich ein geistiger Reifeprozess, mit dieser Thematik umzugehen. Am 1. April habe ich die Geschäftsführung an Cynthia Kempe-Schönfeld übergeben. Die ersten zwei Wochen waren eine große Umstellung für mich. Ich habe den Übergang mit Einarbeitung und vielen Überlegungen im Haus, dass nirgendwo Ängste entstehen könnten, gut geplant. Ich hatte nur mich nicht eingeplant. Es ist auch für mich ein Zeitraum des Gewöhnens und des damit Umgehens.

Ein langer Zeitraum für einen Übergang. Das ist selten.
Das war für mich ganz wichtig. Ich wollte nicht von einem Monat auf den anderen alles übergeben. In der Geschäftsführung ist man hier für alles verantwortlich. Egal, ob das die desolate Mauer, die Heizung, das Personal oder die neue Datenschutzgrundverordnung ist. Das birgt neben den Veranstaltungen und dem Tagesgeschäft Herausforderungen. Ich wollte auch nicht von einem vollen Tagesablauf komplett auf Null – weder für mich noch für das Kraftwerk.

33 Angebote werden im Kraftwerk wöchentlich realisiert, dazu monatliche Formate und große ausgewählte Projekte, die einmal im Jahr stattfinden. Darunter ein Kinderfest auf der Küchwaldwiese, Modellbahn-Ausstellungen oder Breakdance. „Es gibt Menschen, die kommen mehrmals pro Woche zu uns. Sie nennen das Kraftwerk ihr zweites zu Hause“, so Ute Kiehn-Dziuballa.

Also wie eine Begegnungsstätte?
Ja, aber weit darüber hinaus mit dieser konkreten kulturellen Anbindung. Es ist nicht nur Sitzen und Kaffeetrinken, sondern wir malen oder besuchen das Kammerkonzert. Bei diesen künstlerischen und kulturellen Angeboten finden Begegnungen und Gespräche statt.

Das klingt nach einem etwas älteren Publikum, das die Veranstaltungen besucht.
Das ist ein Trugschluss. Wir haben Angebote für Kinder und Jugendliche, für Senioren aber auch für alle zusammen. Als wir 2003 hier her gezogen sind, war die Kinder- und Jugendarbeit schon vor Ort. Wir haben die Kulturarbeit hinzu gebracht. Dann ist es zu einem Ganzen gekommen. Manche Veranstaltungen sind speziell für Jugendliche, andere z.B. Keramik-, Klöppel- und Zeichenkurse sprechen Teilnehmer unterschiedlicher Altersgruppen an. Dazu kommen die Angebote von anderen Trägern, einmalige Projekte, Ausstellungen oder Konzerte, die einmal im Jahre Besucher anlocken. Das Profil des Kraftwerks war mir sehr wichtig: Es ist die Vielfalt.

Ist das Kraftwerk gut besucht?
Natürlich könnten es immer mehr sein (lacht). Es gab aber auch Veranstaltungen, bei denen mussten wir leider Besucher wieder nach Hause schicken. Gerade nach der Sommerpause, wenn die Urlaubszeit zu Ende geht, sind wir sehr gut besucht.

Sie sind damals vor 20 Jahren eher zufällig zu Ihrem Engagement gekommen.
Ich war bei dem heutigen Netzwerk für Kultur und Jugendarbeit, damals noch Stadtteilkultur, engagiert. Das war eine anspruchsvolle Arbeit, die ich gern gemacht habe. Das Netzwerk hatte seinen Sitz im Kraftwerk an der Zwickauer Straße. Wir waren also vor Ort und ich kannte alle. Anfang der Neunziger Jahre war eine Zeit der Veränderung. Das Kraftwerk hatte in Folge verschiedene Geschäftsführer und es war Stabilität gewünscht. Dann hat die damalige Kulturamtsleiterin Petra Borges mich überzeugt, die Position auszuführen. So bin ich 1999 zum Kraftwerk gekommen.
Damals wurde das Kraftwerk hauptsächlich durch Konzerte, wie z.B. Rosenstolz, Die Prinzen, die Mädchenband Tic Tac Toe oder der Kabarettist Olaf Schubert wahrgenommen. Die Kinder- und Jugendarbeit fand natürlich auch statt. 2003 zog man dann ins Haus Spektrum und die Villa Hartmann an der Kaßbergstraße. Seitdem haben mehr als 1,4 Millionen Besucher die fast 65.000 Angebote genutzt.

Was bleibt Ihnen in Erinnerung?
Ganz viel. Es sind so viele Situationen, Ereignisse, Eindrücke – ich wüsste kaum, wo ich anfangen und aufhören sollte. Ein Auftritt der Kelly Family bleibt mir auf alle Fälle in Erinnerung. Es gab einen Ansturm auf das Kraftwerk, wie ich ihn noch nie zuvor erlebt habe: mit Campen vor der Halle. In Erinnerung bleiben, wird auch das internationale Theaterfestival „Let's Meet“. Wir hatten eine Woche lang ganz viele ausländische Gäste in der Stadt mit tollen Theatervorstellungen. Oder Anfang der 2000er haben wir solche Projekte wie „Eine Erde – ein Leben“ veranstaltet und Vertreter der Weltreligionen auf der Küchwaldwiese zusammengebracht.

Sie waren thematisch der damaligen Zeit bereits voraus.
Immer. Wir mussten aber auch gegen Widerstände kämpfen. Gerade bei dem Projekt „Eine Erde – ein Leben“. Wir haben das Projekt im September 2001 eingereicht. Jeder weiß noch, was am 11. September in New York passiert ist: Die Türme des World Trade Centers fielen durch Anschläge. Und wir wollen etwas zu Weltreligionen machen. Dann kam der
11. September, die Türme fielen, und wir hatten dieses Projekt. Aber wir haben es durchgeführt – auf der Küchwaldwiese, damit niemand eine Schwelle überschreiten und keiner durch eine Tür gehen muss. Wir hatten damals zwei Zielstellungen. Die Erste war, dass die Vertreter der Religionen friedlich beieinander – miteinander wäre schön – sind. Das Zweite war, es darf nur derjenige über die Religion sprechen, der diese wirklich lebt.
An was ich mich auch gern und gut erinnere: Wir haben 2008 das Theaterstück „Ein ganz gewöhnlicher Jude“ von Charles Lewinksy in Chemnitz inszeniert. Wir waren die ersten in Deutschland, die das auf die Bühne gebracht haben. Und das als Soziokulturelles Zentrum. Darauf sind wir sehr stolz.

Die aktuellste Projektidee „Die Kippa bleibt“ ist die Antwort auf Vorkommnisse im vergangenen Jahr, als ein Kippa tragender Israeli von einem 19-Jährigen angegriffen wurde. Gemeinsam mit dem jüdischen Restaurant Schalom, das von Ute Kiehn-Dziuballas Ehemann Uwe betrieben wird, hat der Verein Kraftwerk diese neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen. Seit Jahren setzt er sich mit verschiedenen Projekten für Toleranz, Akzeptanz und Offenheit für Andersdenken, gegen Extremismus in jeder Form ein.

Wie etabliert man solche Veranstaltungen, wie kommen Sie auf die Themen?
Es gab immer konkrete Anlässe oder auch aus dem Alltäglichen und aus Gesprächen heraus. Anfang der 2000er hatte ich ein Gespräch mit Uwe Dziuballa. Da war er noch nicht mein Mann.Es ging darum, dass viele über Religionen reden und gar nicht wissen worüber. Das war damals der Ausgangspunkt. Wir wollten etwas entgegensetzen.
Für das Projekt „Die Kippa bleibt“ waren die Vorkommnisse in Berlin der Anlass. Ein Rabbiner oder ein Würdenträger hatte geäußert, man solle sich überlegen, die Kippa zu bedecken. Das würde mein Mann nicht tun. Dieser Titel „Die Kippa bleibt“ ist die Message und der Projekttitel. Inhaltlich überlegt man dann, wie man das in den Fokus rücken kann.

Was werden Sie ab dem 1. Januar 2020 machen?
Das fragen mich ganz viele und ich weiß es nicht. Ab dem 1. Januar 2020 bin ich punktuell noch bei großen Veranstaltungen. Was ich aber keinesfalls möchte, und da arbeite ich an mir, ist so besserwisserisch daneben zu stehen. Deshalb auch das Motto: „Anders weiter so“. Es wird anders sein, dessen bin ich mir bewusst.

Was wünschen Sie sich für das Kraftwerk?
Eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Hauses, auch mit Sicht auf unsere Kulturhauptstadtbewerbung. Ein gutes Dabeisein, ein gutes Mittun. Ich denke, das wird in Richtung Kulturhauptstadt eine sehr intensive Phase werden. Für mich war immer ein Dreiklang für das Haus und den Verein wichtig. Erstens: Bewährtes bewahren. Beispielsweise das Kinderfest findet nächstes Jahr zum 24. Mal statt. Warum sollte man etwas nicht mehr machen, das Bestand hat, gut ist und angenommen wird?
Zweitens: Den Fokus auf Dinge legen, die sich bieten und schauen, was daraus werden kann. Drittens: Immer offen sein für Ideen, für Neues, für verrückte Sachen. Damit haben wir in den vergangenen Jahren gute Erfahrungen gemacht. In diesen drei Dingen gut aufgestellt und immer ein Anlaufpunkt für die Chemnitzer und Chemnitzerinnen zu sein und ein gutes Preisgefüge beizubehalten, das wünsche ich mir.

Stimmt Sie die Vielzahl an kulturellen Angeboten in unserer Stadt positiv im Hinblick auf die Kulturhauptstadtbewerbung?
Ja, total. Ich freue mich immer, wenn etwas los ist. Es gibt jetzt ganz oft Veranstaltungen, zu denen ich gern hingehen würde, aber nicht kann, weil ich selbst im Kraftwerk vor Ort sein muss. Es ist ein so schönes und vielfältiges Angebot in der Stadt und deshalb denke ich, dass alle, die sagen, es ist nichts los, sich nicht kümmern, nicht informieren oder einfach nur meckern wollen.

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