Anderssein ist auch in Ordnung

Uwe Dziuballa

Macher der Woche vom 3. März 2017

„Wenn nicht wegen des guten Essens, dann wegen eines guten Buches“, antwortet Uwe Dziuballa mit Augenzwinkern auf die Frage, warum Gäste gern sein Restaurant Schalom besuchen. Ein Bücherregal mit Romanen, Ausstellungskatalogen und Sachbüchern steht mitten in dem kleinen Lokal nahe des Brühls. Seit 17 Jahren betreibt Dziuballa zusammen mit seinem Bruder das jüdische Restaurant, im November 2012 haben sie ihr Domizil in der Heinrich-Zille-Straße bezogen und vermitteln dabei nicht nur neue Geschmackserlebnisse, sondern auch Kultur.


Das Schalom ist das einzige jüdische Restaurant in ganz Sachsen! Warum gibt es solche Restaurants so selten?
Uwe Dziuballa:
Der Aufwand, ein jüdisches Restaurant zu betreiben und Kaschrut, die jüdischen Speisevorschriften, anzubieten, ist im Vergleich zu einer normalen Gastronomie um einiges höher. Da wir koschere Zutaten brauchen, bekommen wir hier nicht alles vor Ort. Wir müssen für das gesamte Jahr vorausplanen. Sonderangebote können wir somit nicht nutzen. In ganz Deutschland gibt es Restaurants wie unseres, privat geführt, nur sieben Stück.
Kaschrut, die jüdischen Speisevorschriften, geben vor, wie das Essen zubereitet und zu sich genommen wird. Zum Beispiel dürfen nur Tiere gegessen werden, die zweigespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind. Schweinefleisch ist deswegen verboten. Fische müssen Flossen und Schuppen besitzen, um als koschere Tiere zu gelten. Außerdem dürfen fleischige Speisen nicht gleichzeitig mit milchigen Speisen verzehrt werden. Auf der Speisekarte stehen deshalb hinter den Gerichten ein „F“ für fleischig oder ein „P“ für Parwe (übersetzt: neutral).

Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Dadurch, dass die jüdische Gemeinde in Chemnitz hier so klein ist, haben wir uns von Anfang an den Besucherinnen und Besuchern sehr geöffnet. Unsere Gäste kommen zu 90 Prozent nicht aus der Stadt. Nur zehn Prozent haben einen jüdischen Hintergrund und kommen, weil Sie Speisen haben wollen, die nach den Vorschriften des Kaschrut zubereitet sind. Wir sehen uns also im Wettbewerb auch mit nicht-jüdischen Einrichtungen. Es geht in erster Linie um ein Eintauchen in die Aura des jüdischen Lebens und um einen guten Geschmack.

Besonders freut sich Dziuballa, wenn regelmäßig Besucher aus ganz Deutschland zu ihm kommen: „Die teilweise gar nicht wissen, ob sie wegen der Oper oder dem guten Essen nach Chemnitz reisen.“ Selbst unter den sieben Einrichtungen in Deutschland nimmt das „Schalom“ einen Spitzenplatz ein, ist sich Dziuballa sicher. Als ein Filmteam ein Beitrag über koschere Küche drehen wollte, riefen diese erst in München, Berlin und Hamburg an. Alle verwiesen nach Chemnitz und erst nachdem das Filmteam das dritte Mal Chemnitz hörte, kamen sie schließlich hierher. Auch international hat sich das Schalom einen Namen gemacht. Ihm selbst wurde am Strand in Tel Aviv sein eigenes Restaurant empfohlen, plaudert er aus.

Wie haben Sie sich organisiert?
Wir sind ein Familienbetrieb. Unsere Mutter kümmert sich um die Qualität und Sauberkeit des Hauses. Mein Bruder, der in Jerusalem seinen Abschluss gemacht hat, steht für die Einhaltung der Kaschrut. Und ich verantworte den kaufmännischen Bereich. Wir sind auch permanent anzutreffen. Das schätzen unsere Gäste.

Wollen Sie, dass mehr Leute koscher essen?
Das nicht unbedingt. Wir wollten entgegen den Trend „immer schneller, immer günstiger“ zeigen, was es noch gibt. Dass man in der verknappten Bandbreite, die einem die Religion vorgibt, Verschiedenes anbieten kann. Unser letzter Renner war mit Lammhack gefüllte Quitte. Da haben wir bewiesen, dass jüdische Küche überraschend und vielfältig sein kann.

Müssen Sie Ihren Gästen viel erklären?
Eigentlich permanent. Das ist die Hauptaufgabe meines Bruders. Wir haben auch Anfragen von Doktoranten für ihre Forschung in Nahostwissenschaften. Ich gehe seit 2004 auch in den Ethikunterricht in Schulen. Übrigens ist das Bücherregal nicht nur Deko. Hier kommen viele Besucher her, um sich vor einer Israelreise zu informieren. Und nach ihrer Reise kommen sie wieder vorbei, um davon zu erzählen. Wir sind da eine Art Kommunikationszentrale.

Wie vermitteln Sie inhaltlich die jüdische Kultur in Ihrem Restaurant?
Dazu gibt es den Schalom e. V., der das jüdische Leben und die jüdische Kultur in Deutschland stärken und das deutsch-jüdische Miteinander im Alltag befördern will. Der Verein organisiert Lesungen, Diskussionsrunden, Konzerte, Vortragsreihen und nutzt dazu natürlich unsere Räumlichkeiten.

Wie schätzen Sie es ein: Ist das jüdische Leben im Alltag schon angekommen?
Alltäglich ist der jüdische Glaube nicht. Es leben dafür auch einfach zu wenig Juden in Deutschland, als dass sie tatsächlich überall wahrgenommen werden könnten. Was besser geworden ist, ist die Akzeptanz. Das sehe ich zum Beispiel bei den Tagen der jüdischen Kultur. Hier hat schon immer die Qualität gestimmt und es wird ein Besucherkreis erreicht, der sich über die gesamte Stadt erstreckt und eben nicht nur immer die Gleichen zusammenruft. Und auch unser Restaurant hat dazu beigetragen, dass die Leute merken: Ok, hier ist es anders. Aber das Anderssein ist auch in Ordnung.

Wer Tomatensuppe im Schalom bestellt, wird ebenfalls feststellen, dass diese anders schmeckt als erwartet. Dziuballa weiß von einer besonderen Interpretation: „Sie steht für die Liebe. Am Anfang ist sie sehr lieblich. Nach unten hin wird sie herzhafter“, erzählt er süffisant. Er beobachtet dabei, dass sich früher die Gäste nicht getraut haben, zu sagen, wenn es nicht schmeckt – „aus falscher Rücksichtnahme oder wie auch immer“. Das hätte sich jetzt geändert. Und das ehrliche Feedback würde ihn freuen.

Was sagen die Leute zur eigenen Biermarke SIMCHA?
Über die Idee hat am Anfang eigentlich jeder nur gelacht. Aber wir haben aus der Not eine Tugend gemacht. Bei unseren Getränke-Lieferungen gab es regelmäßig Engpässe. Aber eine koschere Gastronomie ohne zertifiziertes Bier, das konnten wir uns nicht vorstellen. Jetzt merken unsere Gäste, dass es auch jüdisches Pils gibt, das zwar anders hergestellt wird, aber eigentlich auch nur ein Bier ist.

Das Reinheitsgebot reicht nicht aus?
Nein, bei fast jedem Arbeitsschritt gibt es zusätzliche Dinge zu beachten. Die Zutaten müssen koscher zertifiziert sein. Bei dem Hopfen dürfen keine Pestizide eingesetzt werden. Die Ernte darf nur in einem bestimmten Zeitfenster durchgeführt werden. Der Braukessel darf nur mit Reinigungsmitteln gereinigt werden, das keine tierischen Bestandteile enthält. Es darf keine Mischproduktion geben. Es muss sechs Wochen in einem Silo reifen. Beim Abfüllen darf der Gummischlauch nur wenige Zentimeter lang sein. Es braucht einen eigenen Brunnen. Zwischendurch werden spirituelle Dinge eingeflochten, wenn beispielsweise mein Bruder den Segen spricht. Letztendlich ist es zwar ein anderer Herstellungsprozess, aber es zählt das Produkt. Und das ist gut. SIMCHA ist übrigens hebräisch und heißt Freude. Wir exportieren das Bier mittlerweile deutschlandweit und darüber hinaus. Es ist das einzig koscher zertifizierte Pils.

Uwe Dziuballa ist zwar gebürtiger Karl-Marx-Städter, hat den Großteil seiner Kindheit und Jugend aber in Jugoslawien verbracht. Als die Eltern ihr internationales Leben aufgaben, kehrten sie nach Chemnitz zurück. Die Brüder brachen nach Amerika und Israel auf. Doch nach dem Tod des Vaters im Jahr 1993 stellten sich alle die Frage, wie es weiter gehen sollte. „Wir haben drei Tage und zwei Nächte mit dem Für und Wider gerungen“, erinnert er sich. Am Ende stand bei beiden der Entschluss fest: Chemnitz – komme was wolle.

Würden Sie die Entscheidung wieder treffen?
Wir konnten damals noch nicht überschauen, was das letztendlich bedeutet. Wir wussten nicht, wie viel Zeit und Kraft es kostet, Gastronom zu sein. Keine Ahnung, ob ich diesen Schritt jetzt nochmal gehen würde. Aber wir haben die Anfangszeit hinter uns, haben auch schwierige Phasen überstanden. Und jetzt, am neuen Standort, geht es uns richtig gut. Es hat ja auch den großen Vorteil, Leute kennenzulernen, die man sonst nicht treffen würde.

Chemnitz bewirbt sich als Kulturhauptstadt Europas. Was wollen Sie bis 2025 erreichen?
Ich finde die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas richtig gut und ambitioniert. Es muss gelingen , möglichst viele Chemnitzerinnen und Chemnitzer mitzunehmen. Das ist in der Stadt schwierig, weil die Menschen ihre Stadt selbst nicht so positiv wahrnehmen. Das Schalom wollen wir stabil betreiben und als kulturellen Treffpunkt weiter ausbauen. Zum Beispiel haben wir einen Stadtplan entwickelt, der die Spurensuche von jüdischem Leben in der Stadt näher bringt. Eine kleine Idee, die hoffentlich große Wirkung hat. Und eine weitere Internationalisierung der Stadt würde ich mir wünschen.

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