Fahrradspeichen aus Hightech-Fasern – Made in Chemnitz

Ingo Berbig & Dirk Fischer

Macher der Woche vom 5. Mai 2017

Chemnitz kann auf eine lange erfolgreiche Geschichte in der Textilindustrie zurückblicken. Vor 660 Jahren beginnt die Entwicklung zum Textilzentrum. Heute sind mehr als 200 Unternehmen und Einrichtungen in Chemnitz in dieser Branche tätig. Doch mit Textilien wie vor über hundert Jahren hat die Arbeit nichts mehr zu tun. Den Beweis tritt eine Arbeitsgruppe an der TU Chemnitz an, die Fahrradspeichen aus Hightech-Fasern entwickelte. Damit möchten sie allen davon radeln. Mit Ingo Berbig und Dirk Fischer standen uns zwei von ihnen Rede und Antwort.


Wie seid ihr auf die Idee gekommen, Fahrradspeichen aus Hightech-Fasern zu entwickeln?
Ingo Berbig:
Eigentlich ganz einfach: Ich fahre seit 1994 Rad, u. a. beim Radsportverein (RSV) Chemnitz. Mein im Jahr 2000 begonnenes Maschinenbaustudium an der TU Chemnitz habe ich 2003 durch den Textilmaschinenbau ergänzt. Seit 2006 bin ich Mitarbeiter an der Professur Fördertechnik. Es ergab sich ein sehr interessantes Arbeitsfeld: Wir haben an textilen Hochleistungsfaserseilen geforscht. Mittlerweile bin ich seit fast elf Jahren dabei.
Dann habe ich das Hobby mehr oder weniger mit dem Beruf verbunden. Ich weiß grundsätzlich um die Beschaffenheit von Speichen in einem Laufrad (Anmerk d. Red.: Laufrad bezeichnet die Gesamtheit eines Vorder- oder Hinterrades beim Fahrrad.)
Wusste, dass der Einsatz von hochwertigen Hightech-Fasern möglich ist und dann haben wir es versucht. Wie wir jetzt wissen, funktioniert es.

Wie lange dauerte die Umsetzung von der Theorie bis zum fertigen Produkt, wie man es jetzt sieht?
Ingo Berbig: Circa drei Jahre. Wir haben erst einmal probiert. Dann sind wir mit unserer Idee zu Unternehmen gegangen und haben gefragt, ob daran Interesse besteht und man es gemeinsam erarbeiten möchte. Das Interesse war eher gering. Das lag vielleicht auch daran, dass unser Konzept zu Beginn für die anderen nicht so überzeugend war. Wir dagegen waren voll und ganz überzeugt und haben es letztendlich selbst umgesetzt.
Dirk Fischer: Intensiv haben wir uns mit dem Thema in meiner Masterarbeit, die Ingo betreut hat, beschäftigt. In der Arbeit habe ich ein Vorderrad umgesetzt. Das war unser erster richtiger Prototyp. Mit dieser Arbeit konnten wir ein Stipendium beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) beantragen und wurden finanziell unterstützt. Damit hatten wir mehr Möglichkeiten, die Idee umzusetzen.

Normalerweise werden Speichen aus Metall bzw. für die ambitionierten Radsportler und Profis aus Carbon hergestellt. Die Nutzung von Hightech-Fasern ist neu. „Unsere Fahrradspeichen bestehen aus hochfestem Polyester, das sind spezielle Fasern, mit denen wir an der TU arbeiten“, erzählt Ingo Berbig. Das spart nicht nur Gewicht, sondern steigert auch die Stabilität. In der heutigen Zeit, in der alles nachhaltiger sein soll, ein fast unschlagbares Argument.

Was sind die Vorteile eurer Speichen gegenüber den herkömmlichen?
Ingo Berbig: Wir haben vor, ein Systemlaufrad (Anmerk. d. Red.: Bei Systemlaufrädern verändern einzelne Hersteller Teile und Bauweisen von Laufrädern, um eine Auswahl und Austauschbarkeit zu gewährleisten.) anzubieten, bei dem der Kunde die Möglichkeit hat, zu sagen, was er eigentlich möchte. Es ist individueller gegenüber den Systemlaufrädern, die man aus dem Katalog bestellen kann. Bei uns kann man die Komponenten auswählen: Ein steifes oder ein elastisches Laufrad, um mehr Komfort zu erzielen, die Anzahl, Anordnung sowie die Farbgestaltung der Speichen. Je nach Gebrauch und Vorstellung wird es auf den jeweiligen Nutzer abgestimmt.
Grundsätzlich sind unsere Speichen leichter als die Stahlspeichen. Bei uns ist es so: Je mehr Speichen im Rad vorhanden, desto mehr Gewicht können wir mit unseren Speichen einsparen. Wenn man extrem auf das Gewicht achtet, dann können wir Vorder- und Hinterrad auf ein Gesamtgewicht von ca. einem Kilo reduzieren. Das ist aber wie gesagt nicht alles. Wir wollen grundsätzlich Flexibilität in der Anwendung bieten.
Außerdem ist unsere Konstruktion sicherer: Vergleicht man die aufnehmbare Längskraft von Stahlspeichen und unseren miteinander, dann nehmen diese Standardspeichen ca. 2500 Newton auf bevor sie brechen. Unsere Konstruktion kann ca. 4000 Newton aufnehmen.
Dirk Fischer: Unsere Vorteile gegenüber Carbon, das ja auch sehr leicht ist: Unsere Speichen sind prinzipiell preiswerter und geben als biegeelastisches Element bei eventuellen Querschlägen leicht nach. Dadurch wird die Gefahr, Schaden zu erleiden, auf ein Minimum reduziert. Zusätzlich ist ein Schutzmantel um die Faser, der die Schläge dämpft. Die Faser und damit auch die Speiche werden nicht beschädigt. Es ist quasi sicherer und auch langlebiger.

Merkt man als Fahrer einen höheren Komfort?
Ingo Berbig: Sicherlich. Bei Mountainbikes oder Cityrädern zum Beispiel: Hier wollen die Leute auf unebenen Untergründen komfortabel fahren. Auftreffende Schläge und Stöße führen auf Dauer zur Ermüdung des Fahrers. Unser Laufrad bietet die Möglichkeit,  Stöße, die vom Untergrund auf den Fahrer übergehen, zu kompensieren.

Nicht nur Fahrräder, auch Rollstühle können von eurer Erfindung profitieren?
Ingo Berbig: Das ist richtig. Rollstuhlfahrer nutzen ebenfalls Räder mit Speichen. Sie sind an geringerem Gewicht interessiert. Bei unserem Rad muss weniger Kraft für den Antrieb aufgewendet werden. Weiterhin ist der Transport der Rollstühle mit geringerem Gewicht komfortabler.
Wenn man nicht nur an den normalen Gebrauch von Rollstühlen denkt, sondern auch an Rollstuhlsport, wie Basketball oder Langstreckensport, dann haben wir abseits der Stahlspeiche die Möglichkeit, je nach Anwendung ein geeignetes Laufrad herzustellen. Beim Basketball fahren sich die Sportler gegenseitig in die Räder und es gibt Schädigungen der Metallspeichen. Dort gibt es richtige Biegungen und damit einen Ausfall des Laufrades. Wie bereits erwähnt: Unsere Speiche nimmt die Kräfte nicht auf, sondern gibt nach und geht nach Belastung wieder in die Ausgangslage zurück. Ein Vorteil bei dem Sport.

Ihr müsstet euch doch vor Anfragen nicht retten können?
Ingo Berbig: Die Nachfrage besteht auf jeden Fall. Wir konzentrieren uns anfangs vor allem auf die Sportler und nicht auf den breiten Absatzmarkt.

Was habt ihr mit eurer Erfindung noch vor?
Ingo Berbig: Wir sind in der Gründerphase eines Start-ups, das den Namen PI ROPE trägt. Im vergangenen Jahr haben wir auf die Entwicklung Patent angemeldet. Im Sommer gründen wir eine GmbH, die weiterhin in Chemnitz ansässig sein wird. Ziel ist, dass wir Ende des Jahres mit einem fertigen Produkt auftreten können.

Was kostet dann ein solches Rad bei euch?
Ingo Berbig: Wir rechnen in Sätzen, also Vorder- und Hinterrad. Das wäre derzeit ein vierstelliger Betrag - nach oben offen. Wir wollen kein Massenprodukt herstellen, sondern Produkte verkaufen, die ein Qualitätsmerkmal allein durch das Prädikat Hand Made mit sich bringen.

Zusammen mit Daniela Storch und Stephanie Mager bilden Ingo Berbig sowie Dirk Fischer das Gründerteam des Forschungsprojekts. „Aktuell stellen wir fest, dass weitere Unterstützung notwendig ist“, so Berbig, „beispielsweise in der Konstruktion“. Deshalb wird das Team erweitert.

Kommen eure Mitstreiter aus dem Radsport?
Ingo Berbig: Daniela Storch ist Mountainbikerin. Die anderen fahren hobbymäßig viel Fahrrad bzw. müssen es mittlerweile einfach (lacht).

Chemnitz hat eine große Vergangenheit in der Textilindustrie. Ist die TU führend in diesem Bereich?
Ingo Berbig: Das kann man schon sagen. Nicht nur deutschlandweit. Wir haben uns seit 2006 ein Fachgebiet erarbeitet, in dem wir weltweit Forschungsaufträge generieren und sind neben Stuttgart der Ansprechpartner für diesen Bereich.

Ist Chemnitz ein gutes Pflaster für euer Start-up?
Ingo Berbig: Da wir mitten in der Ausgründung sind, können wir das jetzt noch nicht sagen. Der bisherige Weg ist gut. Wir haben viele Ansprechpartner und Leute, die das schon erfolgreich umgesetzt haben. Viele Ausgründungen aus der Uni sind erfolgreich verlaufen.

Arbeitet ihr mit Chemnitzer Firmen bzw. mit Sportvereinen zusammen?
Ingo Berbig: Ja, tun wir. Wie schon gesagt: Im RSV, für den ich fahre, sind schon einige Dinge umgesetzt worden, die so ohne den Verein nicht möglich gewesen wären.

Fährt schon jemand mit euren Speichen?
Ingo Berbig: Nein, das können wir aus versicherungstechnischen Gründen nicht tun. Erst wenn das  Unternehmen besteht. Aktuell arbeiten wir noch als Forschungsgruppe. Wir haben ein festes Ziel. Neuheiten werden in der Regel zu bestimmten Zeiten präsentiert. Das wird die Messe ‚Eurobike‘ in Friedrichshafen im Herbst sein.

Im Juni finden die Deutschen Straßenradsportmeisterschaften in Chemnitz statt. Freut ihr euch darauf?
Ingo Berbig: Da ich durch den Verein involviert bin, freue ich mich jetzt schon drauf. Dass es in Chemnitz stattfindet, ist eine super Sache.  Wir schauen, inwieweit wir uns als Start-up dort integrieren können. Grundsätzlich ist es wichtig für Chemnitz, dass wir die Meisterschaft hier haben.

Wo seht ihr euch bzw. euer Unternehmen 2025?
Ingo Berbig: Auf jeden Fall ganz weit vorn. (lacht) Wenn wir an 2025 denken, dann sind wir diejenigen auf der Welt, die Ansprechpartner für textile Speichen sind. Wir sind auf jeden Fall bekannt.

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