Tante Emma für Innovative

Dr. Michael Thees & Jens Scholz

Macher der Woche vom 3. August 2016

Mittelständische Unternehmen fühlen sich in Chemnitz augenscheinlich wohl. Vier Unternehmen aus Chemnitz zählen sogar zur den TOP 100 des deutschen Mittelstandes. Darunter der Softwareanbieter prudsys, der die Auszeichnung des Innovationswettbewerbes Ende Juni in Empfang nahm. Die Vorstände Jens Scholz und Dr. Michael Thess erzählen, wie ihr Unternehmen in Chemnitz gewachsen ist und was ihre Software mit Tante Emma gemeinsam hat.


Bei Softwareunternehmen ist es immer etwas schwer, zu erklären, was sie machen. Vielleicht fangen wir am besten bei Ihren Kunden an. Wer verwendet Ihre Software und wie?
Jens Scholz:
Unsere Kunden sind alle wesentlichen Handelsketten im gesamten deutschen Raum. Wir unterstützen Händler bei der Personalisierung ihrer Kundenbeziehungen. Im E-Commerce kann man es sich insbesondere so vorstellen, dass die Onlineangebote ja oftmals sehr unpersönlich sind. Gerade hinsichtlich Beratung fehlt da die persönliche Kommunikation. Suchergebnisse sind in den meisten Fällen für alle Kunden die gleichen, obwohl es nicht bedeutet, dass alle Kunden mit dem Suchbegriff nach dem gleichen Produkt gesucht haben. Wir personalisieren diese Prozesse, in dem wir vergangene Daten und aktuelles Verhaltens der Endkunden einbeziehen. Produktergebnisse oder die Erscheinung der Website können wir so personalisieren. Wir bringen das Tante-Emma-Prinzip wieder in den Handel zurück.

Von dieser Philosophie erzählt auch eine antike Kasse aus den 1920er Jahren, die im Empfangsbereich steht. Sie ist ein Ausstellungsstück für Messen. Im Tante-Emma-Laden diente die Kasse dazu, die Einkäufe zu registrieren. „Sie kann nicht mal rechnen“, erklärt Jens Scholz, der zu den Gründern gehört und seit zehn Jahren als Vorstand agiert. „Wer die Kasse im Tante-Emma-Laden bediente, kannte seine Kunden“, plaudert er. Heute soll das eine Standardsoftware leisten können, die prudsys Realtime Decisioning Engine (kurz: prudsys RDE) – die Echtzeitentscheidungsmaschine. Diese wird mit den Transaktionssystemen, wie Webshop oder Kassensystem, gekoppelt.

Sie wollen die Onlinewelt also wieder ein wenig freundlicher machen?
Jens Scholz:
Vornehmlich betrifft das die Onlinewelt. Die haben wir seit 2000 sehr intensiv bearbeitet. Wir sehen aber auch, wie die Digitalisierung im klassischen Handel voranschreitet. Dadurch ergeben sich für uns viele Möglichkeiten, Kundenbeziehungen interaktiver zu gestalten. Das können Berater-Tablets sein, die die Fachberater benutzen oder eine Echtzeit-Betreuung der Kunden über Mobilfunkgeräte. Voraussetzung ist, dass der Kunde einwilligt, denn wir arbeiten schließlich mit persönlichen Daten. Man spricht hier auch von „Daten gegen Service“. Wir helfen, den Service auf den Kunden so gut wie möglich zuzuschneiden.

Woran merken Sie, dass Sie Technologieführer sind?
Dr. Michael Thess:
Wir waren vor zehn, zwölf Jahren die erste Firma, die Empfehlungen komplett dynamisch ausgespielt hat. Unser System hat die Empfehlungen in Echtzeit angepasst, während bei Amazon beispielsweise die Empfehlungen immer noch statisch und erst über Nacht generiert wurden. Es lässt sich genau nachmessen, wie erfolgreich die Anzeigen sind. Auch hier ist unser System erfolgreicher als Mitbewerber. Wir waren in Deutschland die ersten, die personalisierte Newsletter ausgespielt haben. Wir waren die ersten in Europa, die das Thema Preisoptimierung im Handel vor acht Jahren auf dem Schirm hatten. Viele von den Dingen, die heute selbstverständlich sind, haben wir als Erste angeboten.
Jens Scholz: Vor zehn Jahren hätten wir uns wahrscheinlich nur über personalisierte Produktempfehlungen unterhalten. Heutzutage geht das viel weiter. Wir unterstützen beispielsweise Kunden, die Preisbildung für Produkte mit beschränktem Lebenszyklus zu automatisieren. Das betrifft zum Beispiel Kalender, die bis in den Februar in den Läden liegen und die sich danach schwer verkaufen lassen, aber auch Obst oder Mode. Der Abverkauf soll so gesteuert werden, dass die Unternehmen nichts vernichten müssen. Und der Kunde erhält das Produkt zu einem marktgerechten Preis. Volkswirtschaftlich ist der Verkauf eines Produktes auf jeden Fall sinnvoller, als dessen Vernichtung.

Wer sind wichtige Kunden?
Jens Scholz:
Das sind vor allem die Top-100-Händler aus dem deutschsprachigen Raum, wie der Baur-Versand, Otto, Bon-Prix, Klingel, Douglas, Thalia oder Conrad. Es vertrauen aber auch viele internationale Kunden auf unsere Software, wie zum Beispiel freemans.com in Großbritannien, ePrice in Italien oder n11 in der Türkei.

War es schon immer Ihr Traum, ein eigenes Unternehmen zu leiten?
Dr. Michael Thess:
Eigentlich schon. Wir hatten schon recht zeitig eine gemeinsame Firma. 1994 haben wir verschiedene Programme für kleine Gewerbetreibende entwickelt und vermarktet. Das hat uns aber nicht gereicht. 1998 haben wir Informatiker der TU Chemnitz kennengelernt, die ähnliche Ideen hatten wie wir. Das Gründerteam der heutigen Firma bestand also aus Mathematikern, wie wir, und Informatikern.
Jens Scholz: Wir waren elf Gründer. Eigentlich entstanden aus einer Mensarunde, die regelmäßig zusammen essen gegangen ist und gern gemeinsam Ideen gesponnen hat.

Wie ist dann der Start des Unternehmens gelungen?
Dr. Michael Thess:
Wir haben uns für ein Förderprogramm des Bundes namens FUTOUR beworben. Das ist ein staatliches Gründerprogramm, das es heute auch vergleichbar noch gibt. Die ersten beiden Jahre waren damit finanziert. Wir haben uns mit dem Thema Datenanalyse beworben und im zweiten Anlauf den Zuschlag bekommen.

Warum haben Sie in Chemnitz das Unternehmen gegründet?
Dr. Michael Thess:
Wir waren damals alle aus Chemnitz. Wir haben hier studiert und gelebt. Die Frage hat sich gar nicht gestellt, woanders hinzugehen.
Jens Scholz: Wir hatten auch nicht den Eindruck, dass die Gründung irgendwo anders besser gelungen wäre. Wir haben hier unsere Wurzeln und die Zusammenarbeit mit der Universität ist sehr gut. Von den elf Gründern waren zehn von der TU Chemnitz. Auch heute arbeiten wir noch eng mit der Uni zusammen.

Die prudsys Macher sind der Wissenschaft nach wie vor eng verbunden. Seit dem Jahr 2000 rufen Sie den DATA-MINING-CUP aus, bei dem sich weltweit Studierende mit Ideen zur intelligenten Datenanalyse bewerben können. Im Jahr 2016 nahmen 120 Teams von rund 88 Universitäten aus 30 Ländern teil. Die besten Teams wurden im Rahmen einer eigenen Fachkonferenz für Omnichannel-Personalisierung in Berlin ausgezeichnet, dem prudsys personalization summit.

Wie wichtig ist Ihnen die Verbindung zur Universität?
Jens Scholz:
Das ist ein großer Vorteil an Chemnitz. Wir leben von unserem guten Netzwerk, das zur TU Chemnitz und auch zur Fachholschule Mittweida besteht. Regelmäßig haben wir Studierende im Unternehmen, die ihre Bachelor- oder Masterarbeit schreiben. Damit finden wir neue gedankliche Impulse und auch potenzielle Mitarbeiter. Wer in Chemnitz bleiben möchte und in dem Bereich arbeiten will, der wird sehr schnell auf uns kommen.

Welche Bedingungen finden Sie ansonsten am Standort vor?
Jens Scholz:
Auch das Raumangebot ist gut. Wir haben hier 800 m² Bürofläche. Und das sehr stadtnah. Etwas Adäquates in anderen Großstädten zu finden, ist schwer. Der Leerstand, der hier teilweise noch zu finden ist, mag mancher als unangenehm empfinden. Für uns ist das optimal, da wir hier Potenzial zum Wachsen haben. Dass wir uns nicht mit Raumfragen plagen müssen, hat den großen Vorteil, dass wir uns auf das Kerngeschäft konzentrieren können. Wir wollen viel lieber inhaltlich arbeiten und über Innovationen nachdenken, als neue Büroräume suchen.

Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Jens Scholz:
Ja. Der Chemnitzer ist sehr damit beschäftigt, sich für seine Stadt zu entschuldigen. Das ist gar nicht notwendig. Natürlich gab es viele Brüche. Die Stadt hieß früher Karl-Marx-Stadt. Das ist doch eigentlich eine interessante, spannende Geschichte. Für manche Chemnitzer scheint es unangenehm zu sein, sich damit zu identifizieren. Man ist eher unzufrieden, weil man sich mit den Entwicklungen in Leipzig und Dresden vergleicht. Dabei kann man nur verlieren. Klar: Für die Industrie wäre es toll gewesen, wenn BMW und Porsche hierhergekommen wären. Aber vergleicht man Chemnitz mit entsprechenden Städten in den alten Bundesländern, steht die Stadt gut da.
Dr. Michael Thess: Auf jeden Fall. Die Stadt müsste sich architektonisch mehr zutrauen. Leider formiert sich sofort Widerstand, der jede Form von Experiment im Keim erstickt. So kommt man nicht voran. Die Stadt sollte nicht so kleinbürgerlich denken, mehr riskieren. Man müsste sich auf die historischen Stärken besinnen, das ist die große, industrielle Geschichte und daran anknüpfend sollte man sich als moderne Industriestadt definieren. Dazu gehört auch: radikal auf Innovationen zu setzen.

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