In Bewegung - im Kopf und im Alltag

Sven Borges

Macher der Woche vom 10. September 2014

Wenn man Sven Borges fragt, ob er ein Macher ist, schaut er ganz kurz ein bisschen irritiert. Wie sollte es denn sonst gehen? Dass er die Dinge, die ihn interessieren, einfach macht, das zieht sich durch sein ganzes Leben. Die Geschichte, die in einer kleinen Galerie in der Hermannstraße anfängt, endet in einer der erfolgreichsten Firmen in der Branche: InMove, der größte Konzertveranstalter in Ostdeutschland, kommt aus Chemnitz. Sven Borges hat Künstler wie Unheilig von Anfang an begleitet, in mehr als 20 Jahren unzählige Konzerte veranstaltet. Unter anderem – Achtung, spannende Mischung – mit Marilyn Manson, Seeed, Rammstein, den Einstürzenden Neubauten, den Söhnen Mannheims, den Sportfreunden Stiller, Silbermond oder Peter Gabriel. Musik mag er, wenn sie laut ist. Und vor allem handgemacht. Weil die Atmosphäre damit anders ist, echt. Könnte auch daran liegen, dass er aus einer Familie von Musikern stammt. Sven Borges selbst hat mal Trompete gelernt, spielt aber nicht mehr, wie er schmunzelnd erzählt.


Klären wir zuerst die Frage, die jetzt wahrscheinlich viele im Kopf haben: Müsstest du nicht woanders leben und arbeiten? Da, wo die Künstler sind? Warum also Chemnitz?
Sven Borges:
Weil ich hier geboren bin, ganz einfach. Ein echter Karl-Marx-Städter. Ich hatte viele Angebote, auch sehr lukrative. Aber hier ist meine Familie, hier sind meine Freunde. Und auch, wenn das vielleicht seltsam klingt: Ich mag es zu wissen, wo etwas ist, wen man wo trifft, und dass die Wege kurz sind. Ich bin gerne in anderen Städten, aber dieses Überschaubare, das finde ich persönlich sinnvoll. Deshalb Chemnitz.

Chemnitz ist also die eine Konstante in deinem Leben. Kultur die andere, oder?
Ja, stimmt. Mein Opa war Berufsmusiker, Trompeter bei der IG Wismut. Mein Vater hat in Bands gespielt, meine Mutter war im Singeclub, bevor sie jahrzehntelang in der Kultur gearbeitet hat und später dann Kulturamtsleiterin war. Ich war also von klein auf bei Veranstaltungen dabei. Und ich habe von Anfang an Dinge selbst gemacht. Was witzig ist: Mit meinem jetzigen Firmenpartner habe ich damals zusammen eine Schuldiskothek gemacht. Haben wir später mal festgestellt. Wirklich wieder getroffen haben wir uns aber erst später, er war im AJZ unterwegs, ich im Kraftwerk. Los ging es mit einem Job in der Galerie Hermannstraße, da habe ich die Bar gemacht und kleine Kulturevents organisiert. Die Clubs der Werktätigen wurden dann an die Stadt übergeben, und ich habe Anfang der 90er Jahre aus einem das Theaterhaus Leimtopf in Bernsdorf aufgebaut. Mit eigenen Mitteln, vielen Freunden, die mitgemacht haben, und alles selbst machen. Das lief richtig gut, aber wir wollten immer mehr als 150 Gäste haben, auch wenn die Bauvorschriften damals noch nicht so streng waren. Also mussten wir uns woanders einmieten. Deshalb sind wir ins Kraftwerk umgezogen, eine geniale Location. Irre, was damals ging.

Die Familie ist schuld an der Leidenschaft für Musik. Wolltest du von Anfang an in diese Branche oder hast du trotzdem etwas Ordentliches gelernt?
(lacht) Eigentlich bin ich gelernter Herrenmaßschneider. Es sollte etwas Kreatives sein, ich wollte Modedesign in Schneeberg studieren und vorher das ganz Grundlegende lernen, Schnitte und all das. Aber die Lehre hat mir die Lust an der Schule, am Studium verleidet. Deshalb habe ich nach der Wende eine neue Richtung gesucht – und eben in den Clubs gefunden. Musik hat bei mir immer dazu gehört, zu allen Zeiten. Wir waren Konzertgänger, haben alles besucht, was es an Hörbarem gab. Da lag es irgendwie nahe, die Bands selbst zu veranstalten, die ich vorher selbst gesehen habe.

Okay, Lust auf Musik, eine Location – aber wie fängt man das Ganze dann an?
Damals gab's weder Internet noch Booking-Agenturen, die Bands für Auftritte gebucht haben. Ich hatte den FDJ-Angebotskatalog bekommen, da standen alle Bands, Liedermacher, Sänger der DDR drin, damit habe ich angefangen. Ich wusste, wen die Menge hören will und habe genau die Bands nach Chemnitz geholt. Manche habe ich Jahre bearbeitet, wie zum Beispiel Laibach, bis die nach Chemnitz kamen.

Wenn man sich die Liste der Künstler anschaut, mit denen du gearbeitet hast, ist man kurz sprachlos und dann beeindruckt. Wer hat dich am meisten fasziniert?
Das kann man schlecht sagen, bei 200 Konzerten im Jahr und das seit mehr 20 Jahren. Aber ein echtes Highlight für mich waren die Einstürzenden Neubauten am 21. Mai 1993. Da hat sich ein Traum erfüllt, ich habe die Band als Jugendlicher vergöttert, die waren das Größte für mich. Das war mehr als Musik, das war Kunst. Dann The Cure oder Sisters of Mercy, die wir im Grunde für eine Tour wieder vereint haben. Die ging durch die Decke und war der Ritterschlag für uns als Tourneeagentur. Und natürlich Billy Idol, der hat mich über Jahrzehnte geprägt. So sehr, dass mein Sohn, er ist zwei, jetzt auch Billy heißt (lacht).

Wie schafft man das denn, über Jahre und Jahrzehnte zu wissen, was laufen wird?
Das Konzertgeschäft ist immer voller Risiko. Die Charts spiegeln nicht unbedingt wider, was die Leute mögen. Wer eine CD kauft, geht nicht automatisch auch zum Konzert. Wir wissen inzwischen, wie viele Menschen ein Act bewegt und wie viel Eintritt die Leute dafür zahlen. Dafür muss man das Ohr an der Szene haben, immer up to date sein. Ich lese keine Bücher, seit Jahren, aber 15 Musikmagazine im Monat. Ein bisschen wie an der Börse: Wissen, Information und Intuition. Das zusammen mit dem Internet und dem Netzwerk, was man aufgebaut hat, den Kontakten, das braucht es. Viele Bands begleiten wir über Jahre, kennen sie schon ewig. Silbermond oder Unheilig, die H-Blockx. Und manchmal ist man viel mehr als Veranstalter: Skinny Puppy zum Beispiel, die Vorreiter für alles, was es auf dem Gebiet von Elektro und Industrial gibt, die waren total zerstritten, das hat anderthalb Jahre gedauert, sie wieder auf eine Bühne zu bringen. Inzwischen hatten wir Acts und Besucher aus mehr als 70 Ländern bei unseren Konzerten. Das kann man nicht geregelt acht Stunden am Tag machen, sondern muss es 15 am Tag leben. Es ist ein Geschäft, bei dem wir am Monatsanfang auch heute manchmal nicht wissen, wie es am Ende aussehen wird. Und wir hatten alles schon, extrem gute Monate und elend schlechte. Leichter ist es nicht geworden, weil Konditionen und Preise heute viel mehr zählen als früher. Da tauchen plötzlich Agenturen und Veranstaltungen auf, die billig, aber nach einem Jahr wieder weg sind. Wir arbeiten über Jahre mit den Leuten zusammen.

Du bist jetzt Mitte 40. Wie lange kann und will man das?
Vor zehn Jahren hab ich mal gesagt, bis 50 will ich das nicht machen. Mittlerweile sind es noch fünf Jahre bis dahin und ich kann mir noch nichts anderes vorstellen. Das beantwortet die Frage doch (lacht).

Was treibt dich an?
Die Leidenschaft, die der Beruf mit sich bringt. Ein wichtiger Aspekt ist die Selbstständigkeit. Ich habe keinen Chef, der mir reinredet. Das wollte ich nie. Und ganz klar: Ich muss Geld verdienen, weil die Firma nicht nur meine Familie ernährt, sondern ich auch Verantwortung für meine Mitarbeiter habe. Dafür habe ich seit 20 Jahren kein Wochenende frei. Freitags oder samstags hab ich in der Regel keine Zeit. Da überrascht es eher, wenn ich mal jemanden anrufe. Aber das hab ich mir so ausgesucht.
Man geht auch nie privat zu Konzerten, sondern schaut immer, was andere so machen. Obwohl ich inzwischen trotzdem abschalten und die Musik genießen kann. Früher bin ich dazu noch jeden Sommer noch zu zehn, zwölf Festivals gefahren, um zu lernen.

Aber von wegen Sex and Drugs and Rock 'n' Roll: Sven Borges bestellt Malzbier beim Gespräch. Weil er schon seit Ewigkeiten keinen Alkohol trinkt. Und weil das Arbeitspensum vermutlich sonst nicht durchzuhalten wäre. Deshalb auch das Treffen in einem Café in der Innenstadt, nicht im Büro. Sieht aus wie jedes Büro, sagt Borges, außerdem klingeln da ständig alle Telefone. Das tun sie jetzt auch, aber das Handy ist lautlos gestellt.

Stichwort Festivals: Man könnte ja annehmen, ihr hättet mit Konzerten genug zu tun. Aber ihr veranstaltet das With Full Force (WFF), habt das Wave-Gotik-Treffen (WGT) in Leipzig groß gemacht. Wie kam es dazu?
Eigentlich haben wir immer auf den Markt reagiert – was gibt es noch nicht, was wollen die Leute? Das war damals im Kraftwerk so, deshalb haben wir das Dark Storm in der Stadthalle entwickelt und darum gibt es den Weihnachtspogo. Das With Full Force ist im Grunde entstanden, weil wir Fans des Dynamo Open Airs waren. Ein Festival in Eindhoven, bei dem drei Musikszenen auf einem Platz vereint waren, die eigentlich nichts miteinander anfangen können. Metal, Punk und Hardcore, das war ein Phänomen. So etwas wollten wir auch – und jetzt hatten wir das 21. WFF.

Sven Borges ist auch da ein bisschen bescheiden: Inzwischen kommen zu dem Festival, das als Ein-Tages-Veranstaltung in Werdau begann, 1996 in Zwickau als Campingfestival weiterging und 1999 auf den Flugplatz Roitzschjora umgezogen ist, mehr als 30.000 Besucher. Iron Maiden haben da gespielt, Motörhead, Slayer, Rammstein, Slipknot, Volbeat und Dutzende andere.

Das Wave-Gotik-Treffen verwandelt jedes Jahr zu Pfingsten ganz Leipzig in eine dunkle Welt, die längst auch Menschen jenseits der Szene fasziniert.
Ja, die Stimmung in der Stadt ist einzigartig. Und es ist erstaunlich, was da alles zusammengeht: Es gibt unzählige Veranstaltungen und Locations, da spielen plötzlich auch Bands im Gewandhaus und sind wahnsinnig stolz darauf. Wahnsinn. Dass das WGT so groß werden würde, konnte niemand ahnen. Wir haben es 2001 übernommen, nach der Pleite der vorherigen Veranstalter. Es gab viele Interessenten, aber die Leipziger wollten das Festival gerne mit uns Chemnitzern machen. Da zahlt sich die Arbeit von Jahren aus, weil wir einen Namen in der Branche haben. Inzwischen haben wir den Leuten gezeigt, dass man Qualität liefern kann und trotzdem Geld verdienen.

Eure jüngste Eigenkreation ist das Rock 'n' Ink, das am Wochenende zum fünften Mal in der Arena stattfindet. Und gleich zum Klischee: Ich habe nicht unbedingt ein enges Verhältnis zu Tattoos, warum sollte ich es trotzdem nicht verpassen?
Weil es anders ist als das Klischee, weil es etwas zu gucken gibt, und weil es Spaß macht. Es werden von Jahr zu Jahr mehr Familien, wir haben am Sonntag sogar einen Familientag, und es ist einfach eine gute Atmosphäre. Wir waren selbst Fans und haben viele Tattoo-Conventions besucht. Ich habe mich immer aufgeregt, wie schlecht die oft waren, wie die Leute behandelt wurden. Und deshalb haben wir gesagt: Wenn wir das machen, machen wir es in Chemnitz anders und richtig. Entspannt. Aber mit Anspruch. Wir haben die größten internationalen Tätowierer hier. Roman Abrego beispielsweise ist in den USA ein Superstar mit eigener Fernsehsendung, andere kommen aus Australien, Kanada oder Japan. Zum ersten Mal ist Pawel Angel aus Russland dabei, ein Realistiker, der einen unverwechselbaren eigenen Stil hat. Sieht aus wie ein Gemälde. Echte Körperkunst.

Sieht man auch am linken Arm von Sven Borges. Am anderen wirken die Bilder eher asiatisch. Das sieht nicht nach Billigtattoo aus. Aber auch Borges selbst entspricht ja nicht dem Tattoo-Klischee – erfolgreich, aber bescheiden und ausgesucht höflich.

Ich weiß nicht, ob das Einbildung ist: Gibt es in Chemnitz eigentlich mehr Leute mit Tattoos als anderswo?
Ja, das ist so. Entweder sind die Leute hier ein bisschen offener oder im Westen war das einfach nichts Außergewöhnliches mehr nach Jahrzehnten. Es gibt wie in der Musik Phänomene, die sich niemand wirklich erklären kann. Aber das Interesse an Tattoos geht inzwischen quer durch alle Schichten, man sieht sie im Alltag eben nur nicht bei jedem. Von daher gibt es am Wochenende auf jeden Fall etwas zu gucken (lacht). Außerdem zeigen wir amerikanische Autos, herrliche alte Chromkarren, und Custombikes. Wir haben Comedy, einen Band Contest, Burlesque-Shows und natürlich rund um die Uhr Musik. Diesmal mit den Firebirds, weil Rockabilly einfach perfekt passt. Wir machen bei Rock'n'Ink Musik und Tattoos, insgesamt ein breites Spektrum ohne die ganzen peinlichen Sachen, die es manchmal auf solchen Messen gibt.

Alles zusammen genommen: Warum weiß man eigentlich so wenig über euch?
Es gibt hier in Chemnitz ganz viele Leute, die nicht jedem aufs Brot schmieren müssen, wie erfolgreich sie machen, was sie machen. Gilt auch für uns, obwohl wir seit 20 Jahren der größte Konzertveranstalter in Ostdeutschland sind. Aber wir brauchen keine Werbung für uns, für uns zählt, was jemand macht. Das versuchen wir weiterzugeben, unterstützen zum Beispiel junge Bands. Aber auch einen Fußballverein aus Chemnitz-Süd.

Eine Frage ist noch offen, die wir in jedem Interview stellen: Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Ich würde gern sagen: Chemnitzer, geht mehr zu Konzerten. Nicht unseretwegen, es gibt ja auch noch andere Veranstalter und Clubs, sondern für euch selbst. Handgemachte Musik hat einfach einen anderen Wert. Daraus entsteht Lebensgefühl, nicht nur in der Jugendszene. Leute fahren nicht für Disko nach Chemnitz, sondern für Musik, für Konzerte. Und manchmal muss man sich einlassen auf Bands, die man vielleicht nicht kennt, trotzdem hingehen und einfach mal reinhören. Rammstein waren anfangs auch die Vorband für Project Pitchfork. Da haben es junge Bands heute viel schwerer – wer noch keinen Namen hat, kriegt kaum eine Chance. Deshalb versuchen wir immer, lokale Bands zu unterstützen, ihnen Platz auf Festivals zu gehen. Also: Offen sein. Man könnte auch sagen: InMove. In Bewegung. Im Kopf und im Alltag.

 

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