Die Chemnitzer müssen sich auch einmal mit Chemnitz beschäftigen

Wolfgang Vogel & Jochen Schubert

Macher der Woche vom 22. Oktober 2014

Am Montag erhält der Verein „Eisenbahnfreunde Richard Hartmann e.V. für sein Engagement im Rangierbahnhof Chemnitz Hilbersdorf, um die wahrscheinlich einzige erhaltene Anlage zur Auflösung von Güterzügen ohne Lokomotiven in Europa, den Deutschen Preis für Denkmalschutz.  Damit ist es der erste Chemnitzer Verein, der die höchste Auszeichnung dieser Art von der Bundesrepublik Deutschland erhält.  Für das jahrelange ehrenamtliche Engagement ernennen wir die „Eisenbahnfreunde Richard Hartmann e.V.“ zu den Machern der Woche. Stellvertretend sprachen wir mit Wolfgang Vogel, dem Vorsitzenden und Jochen Schubert, dem Ehrenvorsitzenden über ihr „Lebenswerk“, die Idee eines Eisenbahnparks Chemnitz-Hilbersdorf und die Bedeutung des Schienverkehrs für die Region.


Herr Schubert, Sie haben das Sächsische Eisenbahnmuseum, aus dem die Eisenbahnfreunde hervorgegangen sind, mit gegründet. Wie kam man auf die Idee?
Jochen Schubert:
Schon vor der Wende gab es eine Arbeitsgruppe, die sich um den Erhalt der noch betriebsfähigen Dampflokomotiven, in der Regel noch von Richard Hartmann, kümmerte.  Wir haben dann im November 1989 einen Verein gegründet. Wir hatten zwar eine Sammlung an Loks, doch es gab noch viele, die in irgendwelchen Schuppen der Republik untergestellt waren. Die brauchten ein Zuhause. Viele Betriebe, die einen Anschluss an das Schienennetz hatten und über eine Lokomotive verfügten, wurden nach der Wende geschlossen. Die Veräußerung der Loks hatte manchen Anschlussbahnleiter Leid getan, dass sie uns fragten, ob wir die nicht haben wollten. So ist eine stattliche Sammlung an Industrielokomotiven zusammen gekommen. Wir haben uns bemüht, dass in die Sammlung nur aufgenommen wurde, was auch hier gefahren ist. Exoten aus anderen Ecken kamen für uns nicht in Frage. Dampf-, Diesel-, E-Lok sind ins Museum gekommen. Eine Ausnahme haben wir nur gemacht, wenn wir was von Richard Hartmann bekommen haben.

Der Rangierbahnhof in Hilbersdorf wurde von 1896 bis 1902 errichtet und war innerhalb der Reichsbahndirektion Dresden nach dem Bahnhof Dresden-Friedrichstadt der größte Rangierbahnhof. Auf dem Ablaufberg des Gefällebahnhofs wurden die Wagen ankommender Güterzüge von der Lok abgekuppelt und rollten sechs Ablaufgleise herunter über Weichen, um zu neuen Zügen zusammengestellt zu werden. Ab 1930 wurde dafür eine Seilablaufanlage eingesetzt.

War Chemnitz damals Eisenbahnstadt?
Jochen Schubert:
Das belegen die Zahlen: Der Rangierbahnhof in Hilbersdorf hatte 900 Beschäftige, das Bahnbetriebswerk hier hatte 600, das Bahnbetriebswerk auf der Glösaer Straße auch 600, Reichsbahnausbesserungswerk Chemnitz (RAW) mit 3.500 Angestellten und zusätzlich alle Bahnhöfe und die Bahnmeistereien machen zusammen geschätzte 8.000 Eisenbahner in Chemnitz.

Wie ist der Verein, die „Eisenbahnfreunde Richard Hartmann e. V.“ entstanden?
Jochen Schubert:
Er ist entwachsen aus dem ehemaligen Förderverein des Sächsischen Eisenbahnmuseums (SEM). Nach Problemen mit dem SEM hatten wir zwei Möglichkeiten: Uns aufzulösen oder weitermachen.
Wolfgang Vogel: Wir haben dann die Entscheidung getroffen, uns nicht aufzulösen, sondern weiterzumachen. Dann haben wir 18 Monate um Inhalte gekämpft. Wir wollten was tun. Im Januar 2009 bekamen wir einen Hinweis von alten Eisenbahnern, dass das Befehlsstellwerk 3 in Hilbersdorf in der Schwebe ist. Daraufhin haben wir uns um den Kauf, der mit einigen Hindernissen verbunden war, bemüht.
Jochen Schubert: Die Bahn wollte das Gelände, insgesamt 25 Hektar, verkaufen. Das war natürlich viel zu groß für uns.
Wolfgang Vogel: Zwar konnten wir die 25 Hektar nicht kaufen, aber uns ist es gelungen, das muss man mal aus der Immobiliensicht sehen, ein Gelände von 8.000 Quadratmetern mit diesem Stellwerk zu erwerben. Das ist eines der größten Reiterstellwerke, mit einer Spannlänge von 43 Metern, in Deutschland. Das ist einzigartig, dass es das hier gibt.
Der Kaufpreis betrug damals 26.000 Euro. Wir hatten als Verein keinen Cent in der Kasse. Trotzdem stemmten die Vereinsmitglieder diesen Kaufpreis. So übernahmen wir dieses Gelände am 4. November 2011 als „Urwald“. Zwei Tage später begann bereits die Rekonstruktion, die wir durch Fördermittel vorbereiten haben.  Ein großer Dank gilt in dem Zusammenhang der Einflussnahme von Herrn Stempel (Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn AG für den Freistaat Sachsen Anm. d. Red), der letztendlich bewirkte, dass der Kaufvertrag für die 8.000 Quadratmeter noch rechtzeitig, vor Ablauf der Frist der Fördermittel-Verwendung zustande kam.
Durch den Kauf haben wir erst das Befehlsstellwerk 3 und, in diesem Jahr, das Maschinenhaus vor dem Verfall gerettet. Das ist eine große Leistung des Vereins und der Vereinsmitglieder.  Natürlich mit Hilfe des Landesdenkmalschutzes, der uns hier hervorragend unterstützt hat. Wir haben jedes Jahr Mittel beantragt und diese auch meistens bekommen, um dieses Denkmal hier zu erhalten.

Wer kam eigentlich auf den Namen Richard Hartmann?
Jochen Schubert:
2009 war der 200. Geburtstag von Richard Hartmann und da ist es irgendwie in einer Sitzung zu diesem Namen gekommen.

Die Seilablaufanlage wurde 1991 stillgelegt und der Bahnhof 1997 geschlossen. Neben dem Befehlsstellwerk haben die knapp 30 Mitglieder seit Oktober vergangenen Jahres und Teilnehmer am Bundesfreiwilligendienst das Maschinenhaus, das Anfang Oktober 2014 eröffnet wurde, restauriert.

Was haben Sie auf dem Gelände alles gemacht?
Wolfgang Vogel:
Die Rekonstruktion des Befehlsstellwerkes innen und außen und das Spannwerk mit den drei Spanntürmen wurde wieder errichtet. Dann begannen wir die Demonstrationsstrecke aufzubauen. 2011 ist diese fertig geworden und dann haben 2012/13 660 Meter Gleise mit Hilfe unserer Bundesfreiwilligen zum Maschinenhaus verlegt. Das dauerte ein Jahr. 2012 haben wir gesagt: Schaut euch das Maschinenhaus an. Noch ein, zwei Jahre, dann kehren wir es mit Schaufel und Besen zusammen. Und die Maschinen sind dann auch verloren. Also begannen wir, Mittel zu beschaffen. Die Restaurierung des Maschinenhauses kostete rund 200.000 Euro. Dafür wurden Bundesmittel, Mittel der Landesdirektion, des Landesdenkmalschutzes, der Sparkasse, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz akquiriert. Insgesamt wurden Mittel in der Größenordnung von fast 500.000 Euro beschafft. Das alles in vier Jahren aufzubauen, mit 30 Mitgliedern und den zehn Bundesfreiwilligen seit 2011, ist die Geschichte dieses Vereins.

Sie bekamen auch schon einen Preis für Ihr Engagement.
Wolfgang Vogel:
Wir haben für unsere gesellschaftliche, ehrenamtliche Tätigkeit eine Auszeichnung erhalten. Aber für uns ist das Bedeutungsvollste, dass wir eines der besterhaltenen Bahnbetriebswerke, ein europäisches Unikat – Seilablaufanlage – auf diesem Platz und für die Verhältnisse eine relativ große Feldbahnanlage haben. Vergleichbares können sie in Europa suchen. Das finden sie nicht wieder. So ein Erbe zu pflegen, erfordert in Zukunft ein anderes Herangehen. Die beiden Vereine, Eisenbahnfreunde Richard Hartmann e.V. und Sächsische Eisenbahnmuseum e.V. müssen dieses Gelände gemeinsam bewirtschaften. Das sind inzwischen 140.000 Quadratmeter. Doch dieses Ziel erlangen wir nur, wenn wir die Kräfte in einem Eisenbahnpark Chemnitz-Hilbersdorf bündeln. Ansonsten hat es jeder der beiden Vereine in den nächsten Jahren sehr schwer zu überleben.
Jochen Schubert: Das Problem ist, dass wir bis auf die institutionelle Förderung keinen regelmäßigen Geldfluss haben.
Wolfgang Vogel: Bei der institutionellen Förderung bekommen wir als Verein für diese Fläche und Größe 3.000 Euro im Jahr. Damit kann ich die Hälfte des Strombedarfs decken und mehr nicht. Aber die Stadt kann auch nicht alles fördern, das sehen wir ja ein. Es müssen andere Wege gegangen werden.

Sie beschreiben Ihre Arbeit für den ehemaligen Rangierbahnhofs Chemnitz-Hilbersdorf als Ihr Lebenswerk. Woher kommt die Leidenschaft?
Wolfgang Vogel:
Wir hatten noch das Glück, dass der sächsische Eisenbahnkönig Richard Hartmann in Chemnitz gelebt hat. Die Stadt war Eisenbahnstadt. Wir machen es für Chemnitz. Wir wollen der Nachwelt hier was erhalten, was wirtschaftsbestimmend und wiederrum durch die Wirtschaft entstanden war.
Die Wirtschaft Chemnitz hat sich entwickelt. Wir waren eine Industriestadt. Dadurch hat sich das Bahnwesen entwickelt. Und umgekehrt: Ohne das Bahnwesen wäre die Wirtschaft nicht konkurrenzfähig gewesen. Das wollen wir unseren Besuchern wieder vermitteln.

Wie viele Besucher kommen zu Ihnen?
Wolfgang Vogel:
Wir hatten in diesem Jahr, mit dem Heizhausfest 2.500 Besucher. Unsere Klientel ist nicht der Sonnabendbesucher allein, sondern es melden sich viele Gruppen an. Durch unsere Experten, wie z.B. Herrn Schubert, werden alle Fragen beantwortet. Aber natürlich wollen wir als Verein auch die Besucher am Sonnabend. Viele Chemnitzer wissen doch noch gar nicht, was es hier draußen zu sehen gibt.
Jochen Schubert: Wir vermieten unsere Räumlichkeiten für Geburtstags-, Firmen- oder Weihnachtsfeiern. Auch Stammtische der Lokführer werden abgehalten.

Woher kommen die Besucher?
Wolfgang Vogel:
Wir hatten schon Österreicher und Holländer da. Dafür, dass wir noch keine offensive Werbung gemacht haben, weil wir uns im Aufbau befinden, sind wir zufrieden. Unser Museum ist erst zu zwei Dritteln fertig. Mehr noch nicht. Als wir das Maschinenhaus noch nicht hatten, waren wir bei der Hälfte. Deshalb haben wir immer ein wenig gedämpfte Werbung gemacht. Aber durch Beiträge in Funk und Fernsehen klingelt des Öfteren jetzt das Telefon.
Am 27. Oktober bekommen die Eisenbahnfreunde den Deutschen Preis für Denkmalschutz. Dieser wurde 1977 vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz gestiftet. Verliehen wird er an Persönlichkeiten und Personengruppen, die sich ehrenamtlich dem Schutz, der Pflege und der dauerhaften Erhaltung des baukulturellen und archäologischen Erbes widmen. Zur Begründung heißt es: „Den Eisenbahnfreunden werde der Preis für ihre vorbildliche Sorge um den Erhalt, den teilweise Wiederaufbau und die Vermittlung des Rangierbahnhofes Chemnitz-Hilbersdorf als schwierig umzunutzendes technisches Denkmal von europäischen Rang verliehen. 

Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?
Jochen Schubert:
Ich war erst einmal sehr überrascht, dass ein technisches Denkmal mit dem Preis versehen wird. Wir fühlen uns geehrt.
Wolfgang Vogel: Wir sind sehr stolz über diesen Preis, dass wir den bekommen. Wir waren über die Bewerbung informiert und dachten: Da sind 100 Bewerber und wir landen auf Platz 97. Als der Brief kam, den haben wir beide im Stellwerk zusammen geöffnet, schauten wir uns verdutzt an. Doch der Preis gehört uns nicht allein. Der ist auch allen den, die an uns geglaubt haben. Das sind eine Menge Leute, die uns unterstützt haben. Letztendlich ist es auch ein kleiner Stolz für Chemnitz – der erste Verein der Stadt, der diesen Preis bekommt. Also ich freue mich auch für meine Stadt.

Wie viel Zeit steckt man in die ehrenamtliche Arbeit?
(Beide lachen)
Jochen Schubert: Ich könnte sagen, rufen sie mal meine Frau an. Sie wird ihnen das erzählen.
Wolfgang Vogel: Wir beide rufen uns Sonntagabend an, fangen montags an und verabschieden uns Sonntagmittag. Natürlich mit Unterbrechungen. Aber man kann schon sagen, dass es für uns ein Full-Time-Job ist. 

Betrachten Sie als Eisenbahnfreunde, die Entwicklung des Schienenverkehrs in der Stadt mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Stichwort Chemnitzer Modell und ICE- Anschluss?
Wolfgang Vogel:
Es gibt Dinge, die sind gut: Beispielsweise das Chemnitzer Modell mit dem Streckenabschnitt nach Stollberg ist eine ganz feine Sache.
Was wir, als Eisenbahner, nie begreifen werden, dass der Schienengüteverkehr auf die Straße verlegt wird. In Chemnitz und der Region gibt es überhaupt keinen Schienengüterverkehr mehr. Deshalb auch unsere Ausstellung. Da erinnern wir an den Schienengüterverkehr. Dass wir keine ICE-Anbindung haben, ist traurig für Chemnitz. Wir sind eisenbahntechnisch abgeschnitten und es bewegt sich auch wenig.
Jochen Schubert: Das ganze Südwestsachsen ist vom Güterverkehr komplett abgeschnitten. Einzige das Kraftwerk und VW bewegen in der Region noch Ware auf der Schiene. Alles andere ist weg.

Unsere Standardfragen: Was ist für Sie das Besondere an Chemnitz?
Wolfgang Vogel:
Mich fasziniert immer die Industrie der Stadt: Von der Historie bis zur Gegenwart. Die Industriestadt und die –kultur zu erhalten, dafür trete ich an und das ist für mich Chemnitz.
Jochen Schubert: Man muss sich nur die ganzen Industriesachen mal anschauen. Bei der großen Dampfmaschine im Industriemuseum wurde ich gefragt, ob ich beim Wiederaufbau helfen kann. Sowas reizt mich unheimlich. Und das gibt es bloß in Chemnitz.
Wolfgang Vogel: Und dann muss man auch sagen, dass sich Chemnitz positiv entwickelt hat.
Jochen Schubert: Der Begriff ist zwar schon alt, aber wird ab und an noch gebraucht – Ruß-Chams. Dabei stimmt der gar nicht. Wir haben viel grün. Für mich kommt Chemnitz gleich nach Dresden.

Unsere zweite Standardfrage: Muss man den Chemnitzern Mut machen?
Wolfgang Vogel:
Die Chemnitzer müssen sich auch einmal mit Chemnitz beschäftigen. Wenn man sich mit der Stadt auseinandersetzt, merkt man Dinge, die gar nicht immer auf der Tagesordnung und damit im Blickpunkt sind. Man darf aber nicht nur in Nostalgie schwelgen. Chemnitz hat sich nach der Wende positiv entwickelt. Ich komme aus der Industrie und habe mitgemacht, wie die Wende vollzogen worden ist.
Jochen Schubert: Es sind Dinge möglich geworden, die hätten wir uns früher nie erträumt.
Wolfgang Vogel: Meistens meckern die, die im Ehrenamt sehr wenig machen. Wir haben viele, die sagen, es ist nichts los. Ich kann nicht sagen, dass nichts los ist. Bei mir ist immer was los ist. Wir haben viele Mitglieder, die noch im Berufsprozess sind. Man braucht für so einen Verein zwei, drei Rentner, die vorne dran stehen. Die Erfahrung haben und sie weitergeben. Ohne diese Leute gehen Vereine nicht.

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