Rede

zur Kranzniederlegung und Gedenkveranstaltung 9. November 2017

Es gibt diesen einen Tag in der jüngeren deutschen Geschichte der vieles ist: eine Zäsur, Revolution, Hoffnung, Freiheit.
Doch vor allem ist dieser Tag ein Symbol der Trauer, der Gewalt, der Diskriminierung, der Vertreibung, der Scham.
Der 9. November. Ein Schicksalstag. An keinem anderen Tag liegen Freud und Leid, Liebe und Hass so nah beieinander.


1918: Deutschland macht sich auf in die 1. Weimarer Republik.


1989: Die friedlichen Bürger der DDR schaffen eine Revolution, die eine Mauer zum Einsturz bringt und die die deutsche Wiedervereinigung begründet.
Dafür die richtigen Worte zu finden, ist nicht einfach, aber möglich. Für die Nacht der Pogrome und für alles, was danach kam, die richtigen Worte zu finden, ist unendlich schwer.


1938: Am 9. November brennen in Deutschland die Synagogen. Die schöne Chemnitzer Synagoge verbrennt im Hass der Nationalsozialisten. Hier an dieser Stelle, mitten in Chemnitz. Danach wurden Schaufenster, z.B. im Schocken und im Tietz eingeschlagen, Juden verhaftet und ermordet. Und die Chemnitzer schauen erschrocken, verstört, ängstlich oder begeistert zu.


Es gab keinen Grund, die jüdischen Bürger zu verfolgen, als Aussätzige zu behandeln. Seit vielen Jahrzehnten waren die Juden integrierte, aktive, angesehene Chemnitzer Bürger. Sie halfen, spendeten, gestalteten die Stadt mit. Sie stifteten, waren fleißig, oft erfolgreich, einige vermögend.
Und plötzlich, weil es die Ideologie des Nationalsozialismus so vorsah, wurden aus Mitbürgern Volksfeinde. Der Judenhass kam schleichend, erst leise, dann laut.
Erst mit Worten, dann mit bestialischen Taten: In wenigen Jahren waren aus vielen Deutschen, die die Weimarer Republik zum Teil jubelnd begrüßten, selbsternannte Herrenmenschen
geworden. Und aus den Juden machten sie plötzlich Untermenschen. Vorher waren sie ihre Nachbarn, Ärzte, Verkäuferinnen. Woher kam dieser Hass, diese Verachtung, diese Arroganz, diese Unmenschlichkeit?


Lange ist das her. Fast 80 Jahre.
Das sogenannte 1000jährige Reich dieser deutschen Herrenmenschen dauerte am Ende 12 Jahre. Der deutsche Größenwahn kostete 60 Millionen Menschen das Leben, darunter 6 Millionen Juden. Wir alle kennen Einzelschicksale, z.B. das von Anne Frank. Ein Schicksal und 6 Millionen weiteren. Unfassbar. Die blühende jüdische Gemeinde von Chemnitz: Zerstört, gemordet, fast ausgelöscht.


Lange ist das her. Fast 80 Jahre.
Unvorstellbar, was Menschen Menschen angetan haben.

Erst mit Worten, dann mit Taten. Bücher brannten. Synagogen brannten. Juden mussten den Stern tragen. Schließlich wurden Menschen vergast und verbrannt.
Das darf nie wieder passieren!


Und das hängt von uns ab! Wir alle sehen und spüren die Veränderungen in den Demokratien Europas. Wir sehen die Zuspitzungen in der Welt. Erleben, wie Angst Politik und Gesellschaften treibt, Menschen einteilt in Wir und Die.

Wir erleben auch hier in Sachsen die Irritation, die Hilflosigkeit, die Oberflächlichkeit in der Landespolitik.


Ich möchte Frau Goldenbogen, Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der jüdischen Gemeinde zitieren:
„Wir befürchten, dass der Konsens der Demokraten aufgeweicht wird, wonach sich Politik nicht auf das geistige Erbe der NS-Vergangenheit stützen darf. […] Wenn es jetzt zu Recht heißt, dass man die Ursachen ergründen und die Sorgen der Menschen ernst nehmen muss, dann darf dies nicht passieren, indem Rechtsextremismus auf einmal als tolerabel gilt.“ Zitatende


Einer der Gründe, warum es in Sachsen diesen Erdrutsch im Ergebnis der Bundestagswahl gab, ist der Verlust an Vertrauen der Bürger in die Institutionen des Staates:
Volksvertreter, Justiz, Polizei, Medien haben an Respekt und Glaubwürdigkeit verloren.
Das ist im Übrigen auch das Ziel der Rechtspopulisten. Wenn der Respekt und wenn das Vertrauen in die Säulen der Demokratie untergraben werden, bilden sich Entwicklungsräume für Rechtsextreme.

Parolen wie: „Mehr Deutschland den Deutschen! Wir holen uns unser Land zurück“ haben nicht nur mehr Sender, sondern finden mehr Empfänger.
Auch in Teilen der Bevölkerung, die keine rechtspopulistischen Haltungen haben.
Und wir erleben in der Folge, wie plötzlich darüber diskutiert wird, ob es einen Rechtsruck in Parteien und Gesellschaft braucht, um den Parolen zu begegnen.


Fast 80 Jahre ist es her, als hier die Synagoge brannte. Die Weimarer Republik war keine gefestigte Demokratie. Die Bundesrepublik hat – zu Recht - diese Ziel und diesen Anspruch. Es liegt an uns, dem Souverän, dem Bürger, dem Wähler, das im Alltäglichen zu leben und zu beweisen.


Wir stehen heute hier am Platz der zerstörten Chemnitzer Synagoge.
Chemnitzer aller Generationen: junge – alte.
Justin Sonder, ein Zeitzeuge hat die Synagoge als Ruine gesehen, er hat den Judenstern tragen müssen, er hat das unvorstellbare Leid erlebt. Der Holocaust ist keine Geschichte. Er ist ein Menschheitsverbrechen. Eine Tatsache.


Um das zu verstehen, davon bin ich überzeugt, muss man das Unvorstellbare gesehen haben. Ich bin deshalb dafür, dass jede Schülerin, jeder Schüler in Sachsen, in Chemnitz im Unterricht eine KZ-Gedenkstätte, z.B. Buchenwald besucht. Wenn es an der Finanzierung durch das Land Sachsen scheitert, bin ich bereit, die Kosten für Chemnitzer Schüler durch die Stadt mitzufinanzieren.


Jeder der einmal mit offenen Augen und offenem Herzen ein KZ gesehen hat, der spürt mit allen Sinnen, wohin Rechtspopulismus, beginnend mit Worten, in der Tat führen kann. Und das ist unsere Verantwortung! Egal, wie alt wir sind.

Liebe Frau Dr. Röcher,
liebe Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Chemnitz,
ich bin froh und dankbar, dass Sie Teil unserer Stadt sind, dass es sie gibt. Möge Ihre Gemeinde weiter gedeihen, die Synagoge ein sicheres Haus für Ihren Glauben sein und Chemnitz Ihre Heimat.

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