Rede

zur Preisverleihung zum 3. Marianne-Brandt-Wettbewerb am 30.09.2007 im Opernhaus Chemnitz


Es gilt das gesprochene Wort!

 

Sehr geehrte Mitglieder des Deutschen Bundestages,
sehr geehrte Mitglieder des Sächsischen Landtages,
sehr gehrte Frau Ministerin Dr. Stange,
sehr geehrte Stadträtinnen und Stadträte der Stadt Chemnitz,
sehr geehrte Juroren und Mitwirkende am Marianne-Brandt Wettbewerb,
liebe Gäste,

Marianne Brandt hätte es, betrachtet man ihre eher sich selbst zurücknehmende Persönlichkeit sicher nicht zu hoffen gewagt, dass am Vorabend ihres Geburtstages im Jahr 2007, es wäre ihr 114. gewesen, hunderte Gäste im Chemnitzer Opernhaus zur Verleihung eines Marianne-Brandt-Wettbewerbes zusammenkommen würden.

Es ist bereits der dritte Wettbewerb und ich freue mich, Sie, liebe Gäste, Juroren, Wettbewerbsteilnehmer und natürlich vor allem Sie - die Preisträger - hier begrüßen zu können.

Der erste Marianne-Brandt-Wettbewerb im Jahr 2001 fand in einer Phase statt, als Chemnitz tatkräftig dabei war, sich eine neue Mitte zu bauen. Es sollte eine moderne, architektonisch inspirierende und unverwechselbare Innenstadt werden. Und sie wurde es!

Mit der neuen Chemnitzer Innenstadt ist etwas gelungen, was viele nicht für möglich hielten.

Was auch immer die Architekten Jahn, Kollhoff oder Ingenhofen zu ihren Bauwerken inspirierte haben möge:
Wir finden heute im Herzen unserer Stadt auch wesentliche Grundzüge des gestalterischen Ansinnens Marianne Brandts wieder: "Die Poesie des Funktionalen". 

 

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Chemnitz könnte als Stadt der Moderne nicht trefflicher interpretiert werden. Denn Chemnitz ist modern, funktional, ehrlich und geradlinig.

Der Marianne-Brandt-Wettbewerb in Chemnitz würdigt somit zugleich das Werk einer großen Gestalterin und stellt mit Chemnitz den passenden Ort dazu in den Fokus.

Die Stadt wird von diesen Impulsen lebendig. Und offensichtlich erwacht allmählich in ihr wieder das Bewusstsein, dass in Chemnitz etwas Besonderes stattfindet, etwas Einmaliges, dass dieser Stadt einen Gewinn an Identität gibt und zu einem Teil des Alleinstellungs­merkmals als Stadt der Moderne wird.

Der Designer-Wettbewerb vergegenwärtigt uns einen Teil unserer Geschichte, zu der das Wirken Marianne Brandts gehört.
Sie erhielt in Chemnitz, der sächsischen Industriemetropole, jene nachhaltigen Eingänge für ihre Kreativität, wie sie zumindest damals nur von einer florierenden Industriestadt ausgehen konnten.

Marianne Liebe wurde am 1. Oktober 1893 in Chemnitz geboren. Sie wuchs gut behütet in einer Zeit großen wirtschaftlichen Wachstums auf.

Die Stadt war voller Bewegung, die Bevölkerungszahlen stiegen rasant. Dadurch bildeten sich Spannungsfelder innerhalb und zwischen den gesellschaftlichen Milieus heraus.
Ein neuer Raum für künstlerische Freiheit bot sich und dieser wurde in Chemnitz mit kreativem Erfindergeist und auf vielfältige Weise genutzt.
Die Künste, das gesamte Kulturleben blühten auf. Chemnitz erwies sich als ein fruchtbarer Nährboden.

Die Kunsthütte und der Theaterverein, denen Marianne Liebes Vater angehörte, bildeten die geistigen Zentren des Chemnitzer Bürgertums und seines ausgeprägten Mäzenatentums.

Dieses schöpferische intellektuelle Umfeld prägte Marianne Brandt für ihr ganzes Leben.

 

 

Meine Damen und Herren, liebe Gäste,
die Liebe zur Kunst und zur Formgestaltung ließen sie nicht mehr los. Es gab wohl kaum ein Genre der Bildenden Künste, das ihr fremd blieb.

Ihr Bildungs- und Lebensweg kündet vom Bedürfnis, von der Lust, Kunst zu lernen und in der Kunst zu leben. Dazu gehörten auch die Musik und die Literatur in der Kinder- und Jugendzeit.

Ein erster Schritt in die Welt war ein Studium der Malerei in Weimar an der Schule von Prof. Flitzer und anschließend die Aufnahme in die Zeichenklasse an der Hochschule für Bildende Künste.
Sie vertiefte ihr Studium auch in anderen Disziplinen wie der Malerei und Plastik. Der norwegische Maler Erik Brandt war ein Weggefährte ihrer künstlerischen Entwicklung. Die Ehe mit ihm hatte jedoch nur wenige Jahre Bestand.

Ihre erste Ausstellung hatte Marianne Brandt in der renommierten Chemnitzer Galerie Gerstenberger, wo sie ihre figurativen Werke zeigte, die sich am Expressionismus anlehnten. Man war auf Marianne Brandt aufmerksam geworden!

Es folgten mehrere europäische Auslandsaufenthalte, die ihr nicht nur andere Länder, sondern auch neue Kunstwelten erschlossen.

Sie studierte am Bauhaus in Weimar und später in Dessau.
Hier begann die kreativste Phase ihres Lebens. Sie hatte ihr Talent für die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen erkannt und setzte nun dafür ihre ganze schöpferische Kraft ein.

Sie ging ganz in ihrem künstlerischen Schaffen auf.
Zu verdanken hatte sie das vor allem Walter Gropius, dessen Ansichten sie sich nicht nur zu eigen machte, sondern für die sie Feuer und Flamme war.

Die Integration von Handwerk, Kunst und Technik war zum Leitfaden ihres Handelns geworden. Gropius fand in Marianne Brandt eine gute Schülerin.

Zum Beispiel bei Josef Albers, Wassily Kandinsky und Paul Klee holte sie sich das Rüstzeug für die Arbeiten in der Formgestaltung.

In ihrem Brief an die junge Generation maß sie ihrem Wechsel in die Metallwerkstatt eine herausragende Bedeutung bei.
Darin ist ihr großer Respekt vor handwerklichem Können und die daraus resultierenden großartigen Gestaltungsmöglichkeiten zu spüren.

Aber zugleich brachte sie sehr klar und bestimmt zum Ausdruck, dass sie selbst ihre Aufgabe als Designerin darin sah "...diese Dinge so zu gestalten, dass sie auch bei einer serienmäßigen Herstellung in arbeitssparender Weise allen praktischen und ästhetischen Anforderungen gerecht wurden und dabei doch weit billiger sein konnten, als jede Einzelfertigung."

Mit ihrem bauhausorientiertem Denken gelang ihr bereits als junge Frau, europäische Maßstäbe zu setzen.

Sie begab sich auf eine künstlerische Ebene, die auch für andere europäische Formgestalter zur Arbeitsplattform wurde.

Als ein herausragendes Beispiel sei der finnische Designer und Architekt Alvar Aalto genannt. Seine Arbeiten sind in ganz Europa und natürlich besonders in Skandinavien zu finden.

Auch nach vielen Jahrzehnten sind alltagsgebräuchliche Gegenstände wie der Schwingsessel mit Armlehne, von Aalto in den Jahren 1930/31 entwickelt, nicht mehr aus unserem Alltag wegzudenken.

Brandt und Aalto waren fast gleichaltrige Zeitgenossen. Sie wirkten an unterschiedlichen Orten, aber in ähnlicher Weise. Denn sie waren beide dem Bauhaus verbunden.

Interessant sind beispielsweise die Produktlösungen von Aaltos Teewagen und Brandts Teeservice. Das zeigt wie sehr durchdrungen Europa zum damaligen Zeitpunkt von der Idee der Moderne und der Poesie des Funktionalen war.

 

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste,
Marianne Brandt suchte stets die Herausforderung und den Erfolg. Mit den praktischen Erfahrungen, die sie sich als Mitarbeiterin von Walter Gropius in einem Berliner Entwurfsbüros aneignete, übernahm sie in Gotha die Leitung der Entwurfsabteilung Kunstgewerbe der Metallwarenfabrik Ruppelwerke.

Endlich konnte sie in der Praxis und in Serienproduktion ihren künstlerischen Gestaltungswillen umsetzen. Mit großem Erfolg überarbeitete sie die gesamte Produktpalette.

Garderobenhalter, Kerzen-, Servietten- und Briefständer, Leuchter, Gießkannen und weitere alltägliche Gebrauchsgegenstände kündeten von der Tatkraft und dem Ideenreichtum Marianne Brandts.

Die Gothaer Zeit sollte zugleich der kreative Höhepunkt ihres Schaffens werden.

Der Erfolg war nur von kurzer Dauer. Die Weltwirtschaftkrise riss Millionen Menschen ins Elend. Auch Marianne Brandt verlor ihre Arbeit.

Der ökonomischen Krise folgte die auch künstlerische Nacht des Faschismus. Die so genannte "Gleichschaltung", der auch Kunst und Kultur in Nazideutschland unterworfen wurden, ließ keinen Platz mehr für die Gedanken des Bauhauses und die Ideen der Moderne.

Marianne Brandt bewies Zivilcourage.

Sie ließ sich nicht vereinnahmen und weigerte sich, Mitglied der Reichskunstkammer zu werden. Das bedeutete Isolation, nicht mehr wahrgenommen zu werden in der Öffentlichkeit.
Eine schwere Zeit für Marianne Brandt, sowohl in künstlerischer als auch in privater Hinsicht.

Sie lebte zurückgezogen wieder in Chemnitz und widmete sich nach dem Tode ihres Vaters ab 1936 der Malerei sowie der Fotografie.
In bescheidenem Umfang beteiligte sie sich an Ausstellungen in den Städtischen Kunstsammlungen Chemnitz, entwarf Gobelins, Tapeten und Schmuck.

Sie überlebte die Zerstörung des elterlichen Wohnhauses auf dem Kaßberg im März 1945. Trotz aller Erschwernisse: Mit dem Kriegsende schöpfte Marianne Brandt neuen Mut.

Bereits im November 1945 wurde eine Ausstellung Chemnitzer Künstler gezeigt, an der sie sich beteiligte.

Unter aktiver Mitwirkung von Karl Schmidt-Rottluff folgten weitere Ausstellungen, die Marianne Brandt wieder zu öffentlicher Wahrnehmung und in dieser Zeit auch zu Anerkennung verhalfen.

In der gerade gegründeten DDR lebte der Bauhausgedanke wieder auf. Für Marianne Brandt eröffneten sich zunächst vielfältige Möglichkeiten, ihre Ideen, ihr Wissen und Können erneut zur Entfaltung zu bringen.

Von 1949 bis 1951 lehrte sie als Dozentin an der Hochschule für Werkkunst, der späteren Hochschule für Bildende Künste Dresden. Erfolgreich arbeitete sie anschließend bis 1954 am Institut für industrielle Gestaltung Berlin.

Sie empfahl sich mit ihren Entwürfen von verschiedenen Gebrauchsgegenständen auch für internationale Präsentationen. Sie wurde mit der künstlerischen Betreuung der Ausstellung "Deutsche Angewandte Kunst in der DDR" beauftragt, die von Oktober 1953 bis März 1954 in Peking und Shanghai gezeigt wurde.

Die Begegnung mit einem anderen Kulturkreis, verbunden mit vielen Erlebnissen und Anregungen, prägten die Künstlerin nachhaltig. Diese chinesischen Impressionen spiegelten sich auch in ihren späteren Werken wider.

Marianne Brandt hatte 1949 Chemnitz verlassen und kehrte 1954 nach Karl-Marx-Stadt zurück. Der verordnete Namenwechsel ihrer Heimatstadt war zugleich ein Hinweis darauf, wohin die Entwicklung in der DDR gehen sollte.

Mitte der 1950er Jahre verdrängte der aus der Stalinzeit hervorgegangene Formalismus den Bauhausgedanken.

Als Formgestalterin war sie nicht mehr gefragt. Offensichtlich zu eng waren die Grenzen des künstlerisch Gewünschten und ökonomisch Möglichen in der DDR gesteckt.

Wieder lebte Marianne Brandt zurückgezogen in ihrem Elternhaus. Die Malerei, Grafiken und Kleinplastiken bestimmten den Inhalt ihres beginnenden Lebensabends.
In Karl-Marx-Stadt fand die Künstlerin und Formgestalterin von europäischer Größe nicht die ihr gebührende öffentliche Würdigung.

Es wurde sehr still um sie. Sie starb am 18. Juni 1983 in Kirchberg bei Zwickau. Marianne Brandt fand auf dem Nikolai-Friedhof ihrer Geburtsstadt ihre letzte Ruhestätte.

18 Jahre vergingen vom Tode Marianne Brandts bis zur Kür der Preisträger des ersten gleichnamigen Wettbewerbs.

Um Marianne Brandt in die öffentliche Wahrnehmung zurückholen zu können, bedurfte es eines grundlegenden Umbruchs in der Staats- und Stadtgeschichte.

Deutschland ist wieder vereint. Aus Karl-Marx-Stadt wurde nach dem Willen der Bürgerinnen und Bürger wieder Chemnitz.

Heute zeigt Chemnitz Stolz auf Marianne Brandt. Auf dem Kaßberg trägt eine Straße ihren Namen. Diese Würdigung entspricht dem Geist des Gestaltungswettbewerbes, der vom Kunstverein Villa Arte e.V. und dem Sächsischen Industriemuseum getragen wird.

Das Thema "Die Poesie des Funktionalen" beschreibt auf schöne Weise das Lebenswerk, die Verbindung von Ästhetik und Funktionalität, der großen Bauhaus-Künstlerin.
Die Ausschreibung des 3. Marianne-Brandt-Wettbewerbes im Oktober 2006 fand eine beeindruckende Resonanz.
Die Juroren aus drei Ländern ermittelten unter dem Vorsitz von Frau Wiebke Loeper aus Berlin die Preisträger in den Kategorien Produktgestaltung, Fotografie, und Regiodesign.

Es war eine schwierige Wahl. 273 Einsendungen, darunter 63 Bewerbungen aus dem Ausland, verdeutlichen die Attraktivität und den hohen Stellenwert des Wettbewerbs unter dem europäischen Künstlernachwuchs.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
sehr geehrte Mitwirkende des Marianne-Brandt-Wettbewerbes, die heutige Preisverleihung ist ein großer Tag in Erinnerung an Marianne Brandt und damit auch für die Stadt Chemnitz. Mein herzlicher Dank gilt allen Persönlichkeiten, Institutionen und Förderern, die den 3. Marianne-Brandt-Wettbewerb ermöglichten.

Ich danke allen Bewerbern dafür, dass sie im Sinne dieser großen Tochter unserer Stadt den Wettbewerb mit Leben erfüllten. Sie haben das Leben und die Kunst in Chemnitz reicher gemacht.

 

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