Rede

zur Gedenkveranstaltung für die Chemnitzer Bombenopfer auf dem Städtischen Friedhof am 5. März 2012

 

Es gilt das gesprochene Wort!

 

(Gedanken im Keller)

Der Abend des 5. März 1945. Es ist Krieg. Schon seit viereinhalb Jahren.
Fliegeralarm in Chemnitz!
Das Auf und Ab der Sirenen erfüllt die Luft über Stadt.
Dicht gedrängt sitzen sie in den Kellern ihrer Häuser. Frauen mit ihren Kindern. Auch Männer sind dort, nicht allzu viele.
Die 16 bis 60-jährigen müssen bei Wehrmacht und Volkssturm die Gefallenen ersetzen. Millionen hatten schon ihr Leben verloren, angeblich für Deutschland.

Die Gedanken der Frauen in den Kellern an den Mann, den Vater den Bruder schmerzen. Schmerzen wegen der bereits eingetroffenen Todesnachricht. Oder es herrscht die Angst, dass der Postbote sie noch bringen könnte.
Leben die Männer noch? Werde ich in einer Stunde noch leben? Was wird aus den Kindern?

Gedanken im Keller.

Ein anschwellendes Brummen der Flugzeuge liegt in der Luft. Immer lauter wird es. Grauenvoll dröhnend kommt da der Tod daher.
Die da sitzen können es spüren, das nahende Unheil. Manche beten, manche weinen, viele sind still. Angst haben sie alle.

Manche denken darüber nach, warum alles so gekommen ist. Warum die 11933 die Nazis gewählt haben.
 

 

Gedanken im Keller.

Bilder des Alltags von einem friedlichen Chemnitz sind im Kopf. Sehnsucht kommt auf.
Cafes, Kinos, Theater, Geschäfte, Warenhäuser, Bäder, Parks und natürlich viele Fabriken. Eine pulsierende Stadt, die einen guten Ruf hatte in der Welt.
Der Name Chemnitz stand für Qualitätsprodukte. Die Stadt, ein sächsisches Manchester. Kaufleute, Unternehmer, Arbeiter, ja die 350.000 Chemnitzer verband das.
Doch auch in dieser Stadt wird jetzt produziert für die Kriegsmaschine. Die Alliierten wissen das!

Die Gedanken werden zerrissen von den ersten Einschlägen, immer näher kommend. Der Boden bebt. Dieser erste Schlag trifft ein Haus in der Straße. Wann trifft es uns?

Gedanken im Keller.

Wie war das mit Manchester?! 1940 stand der Name ganz groß in Chemnitzer Zeitungen: „Deutschlands Luftwaffe glänzend überlegen – Neue Phase des deutschen Luftkrieges gegen England“ so die fetten Schlagzeilen auf der ersten Seite.
Die stolze englische Industriemetropole versank im deutschen Bombenhagel. Tausende starben.
Manchester, Weihnachten 1940.

Chemnitz, 5. März 1945. Luftminen, Sprengbomben, Brandbomben. Ein Inferno bricht los. Angst beherrscht die Menschen.
Es fühlt sich an, als würde ein Beben die ganze Erde aufreißen.
Es fühlt sich vermutlich an wie in den Kellern Stalingrads im August 1942, als deutsche Piloten die ganze Stadt in Trümmer legten.

Gedanken im Keller.

Stalingrad, der Liebste ist dort gefallen und nun muss vielleicht auch ich sterben, hier in Chemnitz im Keller des Hauses, in dem wir einmal glücklich lebten. So die Gedanken mancher Frauen. Für manche sind es die letzten ihres Lebens. Sie sterben in den Trümmern ihrer Stadt.

 

 

Liebe Chemnitzerinnen und Chemnitzer,
sehr geehrte Abgeordnte,
wir gedenken heute der Opfer der Bombardierungen von Chemnitz in den Jahren 1944 und 1945. Der 5. März des letzten Kriegsjahres ist der Anlass unseres Gedenkens. Allein an diesem Tag verloren bei den schwersten Angriffen auf Chemnitz über 2000 Menschen ihr Leben. Die Stadt verlor ihr Gesicht.

67 Jahre sind vergangen. Wir leben seitdem im Frieden. Die Stadt ist wieder aufgebaut. In ihrer Mitte erinnern nur noch wenige Gebäude an das alte Chemnitz.
Vier Generationen sind geboren. Die Zeitzeugen von damals werden weniger.

Für die nach 1945 Geborenen stellt sich die Frage: Wie gehen wir um mit den Erfahrungen, die die Zeitzeugen uns überlieferten?
 

 

Eine vererbte Schuld gibt es nicht. Und auch keines unserer Nachbarländer bürdet uns eine solche auf.
Die von deutschen Bomben zerstörten Städte Manchester und Stalingrad, des heutige Wolgograd, sind schon lange Partnerstädte von Chemnitz.
In den zahlreichen Begegnungen mit Bürgerinnen und Bürgern dieser Partnerstädte wurde natürlich auch dieser traurige Teil unserer gemeinsamen Geschichte besprochen. Doch es gibt keine Vorwürfe. Im Gegenteil. Die großartige Gastfreundschaft, die die Chemnitzer Delegationen besonders in Wolgograd erfahren, ist Beispiel dafür, mit welcher menschlichen Größe sie mit dem schweren historischen Erbe umgehen sollte. Diese Herzlichkeit berührt.
Die Wolgograder beschämen uns manchmal.

  • Sie sind stolz darauf, ein Gedicht Heinrich Heines in deutscher Sprache rezitieren zu können.
  • Manche studieren in unserem Land.
  • Viele berichten voller Begeisterung von ihren Erlebnissen bei Reisen nach Deutschland.
  • Und ältere Menschen, von denen manche gewiss kein leichtes Leben hatten sagen zu uns Chemnitzern, dass sie inzwischen denen vergeben haben, die einst ihre Stadt zerstört und das Leben ihrer Angehörigen ausgelöscht haben. Sie legen Blumen: auch auf deutsche Gräber.

Erinnern und Gedenken sind kein Selbstverständnis, das sich in leeren Ritualen erschöpfen darf. Zum Erinnern und Gedenken braucht es wahrhaftiges Wissen. Wissen, dass es ermöglicht, historische Ereignisse in die Zusammenhänge jener Zeit einzuordnen, um sie richtig werten zu können.
Wir brauchen dieses Wissen,
  • damit wir und unsere Kinder eine Zukunft ohne Kriege erleben können.
  • Deshalb auch dieser heutige Gedenktag, der als Chemnitzer Friedenstag schon eine junge Tradition hat.
  • Deshalb ein klares Ja zur Entwicklung einer Kultur, die nicht rückwärtsgewandt ist und einen klaren Blick auf unsere Geschichte ermöglicht.

 

 

Wir brauchen dieses Wissen, um einen Missbrauch des Gedenkens in keiner Form zuzulassen.
Hoffentlich viele Chemnitzer werden heute Abend dem Aufruf zum friedlichen Gedenken an die Opfer der Bombardierungen unserer Stadt im Zweiten Weltkrieg folgen. Sie kommen um deutlich zu zeigen: Chemnitz ist unsere Stadt – Nazis haben hier keinen Platz! Unsere Stadt ist weltoffen und tolerant.

Ich lade Sie ein, ich rufe Sie auf, heute Abend 18:00 Uhr auf den Chemnitzer Neumarkt zu kommen. Bringen Sie Ihre Familien, Freunde und Nachbarn mit.
Zeigen wir gemeinsam, dass Chemnitz unsere Stadt ist, in der wir keine Nazis haben wollen.

Denn es haben sich auch andere Leute angekündigt. Neo-Nazis, die die Opfer des Zweiten Weltkrieges zum zweiten Mal zu Opfern machen wollen.
Sie heucheln Anteilnahme, sie verdrehen mit Demagogie die Geschichte.
Sie missbrauchen das Grundrecht unserer Demokratie auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit mit dem klaren Ziel, die Demokratie abzuschaffen.
Gestern hatte ich eine Begegnung mit Chemnitzer Trümmerfrauen, Zeitzeugen, die den Krieg und die Bombardierung von Chemnitz erlebt haben, als sie noch junge Frauen oder Kinder waren. Sie haben die Trümmer beseitigt. Heute sind sie über 80 Jahre alt.
Ihre Botschaft an uns: Nie wieder Krieg! Nie wieder Nazis! Tut alles, dass Frieden bleibt!
Danke, dass Sie alle gekommen sind.

 

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